Es
gab eine Zeit, da standen der Aktivist Julian Assange und seine Plattform
WikiLeaks für radikale Aufklärung. Das Portal veröffentlichte Dokumente, die
gesellschaftliche Missstände offenlegten: die Lebensbedingungen von Gefangenen
im amerikanischen Straflager Guantanamo
etwa oder das wahre Ausmaß der Tötung von Zivilisten im Irakkrieg.
Medien weltweit griffen diese Enthüllungen auf und kooperierten teilweise direkt mit
Assange. So wurde er zu einer Ikone der Informationsfreiheit, er erhielt für
sein Engagement den Media Award der
Menschenrechtsorganisation Amnesty International und den Martha-Gellhorn-Preis für
investigativen Journalismus.
Diese
Zeiten sind lange vorbei. Mittlerweile werden die Aktivitäten der
Transparenzplattform und ihres Gründers kontrovers diskutiert. Und das ist noch
vorsichtig formuliert. Weggefährten
wie der deutsche Informatiker Daniel Domscheit-Berg, einst Sprecher von
WikiLeaks, wandten sich schon vor Jahren von der Plattform ab und kritisierten
unter anderem Assanges Führungsstil. 2016 veröffentlichte WikiLeaks die E-Mails
der demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton – die waren zuvor
von russischen Hackern erbeutet worden. Kritikerinnen und Kritiker warfen der Plattform daraufhin
vor, die amerikanische Präsidentschaftswahl beeinflussen zu wollen. Hinzu kamen
Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange in Schweden. Um einem Verfahren zu
entgehen, floh der gebürtige Australier 2012 in die ecuadorianische Botschaft
in London und lebte dort fortan.
Nun
muss man weder Assange mögen, noch sein Verhalten richtig finden, man darf und muss ihn sogar
kritisieren. Man muss auch nicht WikiLeaks und all ihre Enthüllungen
unterstützen, schließlich gefährdete die Plattform durch die teilweise ungeschwärzte
Veröffentlichung von Material auch das Leben von Menschen.
Ein problematisches Vorgehen
Doch
dass die USA nun die Auslieferung Assanges fordern, nachdem Ecuador ihm das Asyl
entzogen und die britische Polizei ihn festgenommen hat, ist problematisch. Das
Justizministerium der Vereinigten Staaten wirft dem Aktivisten Verschwörung
mit der Whistleblowerin Chelsea Manning vor. Er soll versucht haben, ihr dabei zu helfen, Passwörter eines Militärrechners mit Zugang zu geheimen Dokumenten zu
knacken. Wäre Manning damit erfolgreich gewesen, hätte sie sich einen neuen Nutzernamen zulegen können; für die Ermittler wäre es dadurch schwieriger gewesen, sie zu identifizieren, heißt es in der Anklageschrift. Zudem habe Assange sie dazu angestiftet, weitere solcher Papiere zu stehlen. Viele
Beobachter waren zuvor davon ausgegangen, dass Assange grundsätzlich wegen
der Veröffentlichung klassifizierter Informationen und Spionage angeklagt
würde. Ein solcher Vorwurf wäre noch grundsätzlicher gewesen.
Aber auch die jetzige Anklage und die offenbar kurz bevorstehende Auslieferung Assanges sind der
Versuch, andere potenzielle Whistleblower einzuschüchtern und kritische
Berichterstattung von Medien zu erschweren. Eine zentrale Aufgabe der
Presse ist es, als vierte Gewalt die Regierung zu kontrollieren und zu
kritisieren. Zu diesem Zweck muss auch die Veröffentlichung klassifizierter
Dokumente möglich sein. Menschen, die derartige Informationen anfragen oder zur
Verfügung stellen, müssen geschützt werden. Genau diesen Schutz stellt die Anklageschrift infrage.
Ein Fall, der auch die Gesellschaft betrifft
Das
ist kein Freibrief dafür, einfach alles Geheime ans Licht zu zerren. Es gibt
auch Veröffentlichungen und Leaks, die eben nicht zur Aufklärung und
Selbstkontrolle einer Gesellschaft beitragen, sondern ihr unter dem Strich
schaden. Auch bei WikiLeaks, gerade in der jüngeren Vergangenheit, gibt es
solche Fälle. Das im Einzelfall abzuwägen, ist die Aufgabe von Gerichten, so wie auch im Fall Assange. Idealerweise ist ein demokratischer Staat so souverän, dass er
erkennen kann, wann ein solcher Geheimnisverrat zwar den eigenen Interessen
schadet, aber trotzdem richtig ist. Im Fall von Chelsea Manning, die unter anderem Dokumente zu den Verhältnissen in Guantanamo an WikiLeaks weitergab und dafür zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, zeigte sich aber die Neigung amerikanischer Gerichte, eher das Geheimnis schützen zu wollen als die Informationsfreiheit.
Wird
Assange auf der jetzt bekannten Grundlage verurteilt, könnte sich ein
Journalist oder eine Plattform künftig schon damit strafbar machen, dass sie
eine Informantin nach mehr Dokumenten oder Belegen fragen. Das könnte
Whistleblower abschrecken und die zentrale Arbeit von Medien deutlich erschweren.
Und letztlich der Gesellschaft relevante Informationen vorenthalten. Diese
Gefahr ist es, die den Fall Assange, unabhängig von der Person, so wichtig
macht.
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