Das Letzte, was ich vor der Wildnis kaufe, ist ein großer schwarzer Müllsack im kleinen Supermarkt am Fluss. Ich schneide drei Schlitze hinein und stülpe mir meinen neuen Poncho über den Kopf. Die Reise in den Regenwald wird schwül und feucht werden, über der karibischen Küste und dem Hinterland westlich von Hone Creek ergießt sich ein grauer Himmel in immer neuen Schüben. Die Palmblätter glänzen vor Nässe, aus den Mangroven dampft Feuchtigkeit.
Unter einem schiefen Wellblechdach am Ufer, in einer braunen Pfütze, steht Gardel und wartet. Er wird mich zu den Bribri bringen. Eine Stunde den Río Yorkín hoch, über den Fluss, der sich von hier aus in den Busch windet und dessen Mitte die Grenze zwischen Panama und Costa Rica markiert. Mit dem Auto oder Motorrad zu dem indigenen Waldvolk gelangen zu wollen, wäre ein hoffnungsloser Plan. Alle Wege sind matschig, jeder Schritt ist eine Rutschpartie. Wir nehmen das Kanu.
Ein 25 PS starker Außenbordmotor treibt uns bald durch erste Stromschnellen, vorbei an flachen Kiesufern und Sandbänken, hinein in ein Biotop, das sich immer weiter verknotet und verdichtet. Nach einer halben Stunde erhebt sich der Regenwald wie ein nebelverhangener Vorhang. Ein Relief aus Riesenfarnen, Palmen, Lianen. Geier sitzen in den Bäumen, Wasser schwappt ins Kanu. Links und rechts Wurzeln, die in den Fluss greifen. Über uns Äste, die sich umschlingen und weit über die Ufer wuchern.
Nach einer Stunde steuert Gardel das Boot nach rechts und rammt es in den Schlick. Am Ufer steht Eliodoro Moreno Aguirre wie ein Baum unter Bäumen. Er trägt Jeans, Gummistiefel, ein gestreiftes Shirt und auf dem Kopf eine Kappe mit dem Schriftzug “Monster”. “Bienvenido a Yorkín”, sagt Eliodoro. Ich soll ihn Elio nennen. Ihm fehlen Zähne, er lacht freundlich, schnappt sich meine Tasche und stapft los. Wir folgen ihm, laufen tiefer in den Wald, über aufgeweichte Trampelpfade, über Bretter und Äste, die im Schlamm stecken. Ich lausche einem großen, lediglich von Vogelstimmen durchflirrten Schweigen.
Aus dem Busch lugen hier und da Hütten, an einem moosigen Baumstamm lehnt eine löchrige Schubkarre. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Was ist das für ein Baum? Sein Stamm ist fast weiß, unten vierfach aufgefächert, als stützten ihn gigantische Stabilisatoren, nach oben hin verliert sich seine Krone im Schattendach des Himmels. “Der Ceiba-Baum”, sagt Elio. “Er kann siebzig Meter hoch werden, aus ihm bauen wir unsere Hütten.”
Wir marschieren weiter. Ich frage ihn nach seiner Kappe mit dem Monster-Logo. Er kennt den Energydrink nicht. Die Kappe hat mal jemand liegen lassen. Sie ist gut gegen den Regen, die Sonne, die Moskitos. Elio zeigt in den Wald, beschreibt einen Bogen von links nach rechts. “Hier wohnen wir, das ist unser Zuhause.”
Er meint die Yorkín Community, eine Gemeinde von rund 250 Bribri. So heißt das indigene Volk, dessen Clans bis heute bei Puerto Viejo de Talamanca im Wald leben. Ihre Dörfer liegen im Tal am Fluss, oben in den Hängen, bis tief hinein in den Regenwald Panamas. Die Bribri sprechen Spanisch und ihr eigenes, uraltes Idiom. “Du kannst mich auch Namu nennen”, sagt Elio. “Namu heißt Jaguar.”
Rund 35.000 Bribri sollen noch in ihren Gemeinden leben, viele von ihnen ohne Strom, ohne Straße, ohne Fahrzeug. Sie gehen zu Fuß durch den Urwald, nehmen ihre Kanus.
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