DIE ZEIT:
Der Staatsanwalt von Gera hat unter Berufung auf den Paragrafen 129 gegen Sie und das
Zentrum für politische Schönheit ermittelt. Heißt das, Sie wurden seit über einem Jahr
beobachtet?
Philipp Ruch:
Wir wurden “in Sicherheitskreisen”, wie es so schön heißt, 16 Monate lang als kriminelle
Vereinigung gewertet. Das hatte direkte Auswirkungen, die für die Öffentlichkeit sichtbarste
war meine Ausladung vom Kongress der Bundeszentrale für politische Bildung durch das
Bundesinnenministerium. Dazu existiert eine schriftliche Weisung.
ZEIT:
Gab es Eingriffe in Ihre Grundrechte?
Ruch:
Da sind wir im Ungewissen. So wie gerade gemauert wird, müssen wir mit dem Schlimmsten
rechnen. Wir standen auf einer Liste zusammen mit Terrororganisationen wie der
Al-Nusra-Front und dem “Islamischen Staat”. Wir sind aber nur eine
Kunst-Terror-Organisation, die mit schärferen Geschützen für den Humanismus kämpft.
ZEIT:
Gleichwohl bewegen sich viele Ihrer Aktionen an der Grenze zum Strafbaren.
Ruch:
Uns gibt es seit zehn Jahren. In der Zeit wurden wir mit über 100 Strafanzeigen überzogen.
Es gab mehr als 30 Gerichtsverfahren. Viele können nicht glauben, dass nichts davon
erfolgreich war. Natürlich bringen unsere Aktionen Paragrafen auf Kollisionskurs. Die
Höcke-Aktion ist eine einzige Rechtskollision. Aber am Ende müssen die Richter entscheiden,
was stärker wiegt: die Kunstfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes oder Höckes
Persönlichkeitsrechte. Das Oberlandesgericht Köln hat in seinem Urteil die Überwachung von
Höcke als Kunst bestätigt. Bei den progressiven Beobachtern gab es viele, die zwischen
Holocaust-Mahnmal und Überwachung entlang ihrer Geschmacksgrenze trennen wollten, weil sie
das eine gut und das andere schlecht fanden. Das Oberlandesgericht Köln sagte aber, “dass
diese Kernelemente und die sonstige Gestaltung der Aktion nicht separat betrachtet werden
können”.
ZEIT:
Bei Aktionskunst ist die öffentliche Wirkung Teil der Performance. So gesehen konnte dem
Zentrum nichts Besseres passieren als die Beobachtung durch den Staatsanwalt. Man könnte
fast den Verdacht haben, Sie sind der Strippenzieher hinter der Aktion.
Ruch:
Die Staatsanwaltschaft Gera und der Justizminister von Thüringen, der die politische
Verantwortung trägt, können sich ihre Briefumschläge mit der Gage bei uns abholen. Ich mag
im Moment noch nicht darüber lachen. Es geht doch darum, dass die politische Kunst als Form
der organisierten Kriminalität mehr als 16 Monate lang von staatlicher Seite verfolgt
wurde.
ZEIT:
Nach Recherchen von
ZEIT ONLINE
soll der Staatsanwalt Martin Zschächner die AfD
finanziell durch eine Spende unterstützt haben. In so einer Situation haben Sie jetzt
natürlich moralisch Oberwasser. Alle Skrupel, die man zum Beispiel gegen Ihre Aktion “Soko
Chemnitz” haben kann, treten angesichts der lächerlichen Einstufung als kriminelle
Vereinigung in den Hintergrund.
Ruch:
Da die Republik moralisch Unterwasser hat, kann das nicht schaden. Wir machen uns die
Hände schmutzig für den Humanismus, für Moral. Das klingt vielleicht paradox …
ZEIT:
… nein, nicht paradox …
Ruch:
… oder ambivalent …
ZEIT:
… auch noch zu nett ausgedrückt. Es klingt nach: Der Zweck heiligt die Mittel. Oder: Wo
gehobelt wird, da fallen Späne! Bei “Soko Chemnitz” zum Beispiel gab es die Möglichkeit,
dass Betroffene, also von Ihnen als “Gesinnungskranke” und “Vaterlandsverräter”
identifizierte Leute aus dem rechten Unterstützermilieu, zurückkehren dürfen in die
“Gemeinschaft”, wenn sie zwölf Punkte unterschreiben. Das ist ein Gesinnungstest. Das
erinnert an stalinistische Selbstkritik.
Ruch:
Der Stalinismus war ein schrecklicher Machtapparat, in dem Denunziationen zur persönlichen
Vernichtung führen konnten. Was haben wir dagegen? Wir haben die Macht der Fiktion.
ZEIT:
Wenn man Sie auf dem Politikfuß erwischt, sagen Sie: Wir sind Kunst! Wenn man Sie auf dem
Kunstfuß erwischt, sagen Sie: Wir sind Politik. Einerseits wollen Sie maximale Wirkung
entfalten, aber umgekehrt legitimieren Sie die Fragwürdigkeit Ihrer Mittel mit Ihrer
Machtlosigkeit.
Ruch:
Wären wir einzig an Wirkung interessiert, müssten wir dann nicht das Aggregat wechseln zu
einer politischen Partei? Die AfD schafft es mit ihrem Extremismus täglich in die
Schlagzeilen. Kunst braucht lange. Unsere Produktionen brauchen zwei Jahre. Intellektuelle,
Schriftsteller und Künstler sind die fünfte Gewalt im Staat. Diese Gewalt ist aber
schrecklich viel langsamer als die ersten vier Gewalten. Wenn wir nur an Wirkung,
Geschwindigkeit und Schlagzeilen interessiert wären, müsste das Zentrum eine Partei
werden.
ZEIT:
Und warum werden Sie keine Partei?
Ruch:
Weil wir ganz andere Interessen haben. Uns interessieren Fiktionen, Visionen. Uns
interessiert die Macht der menschlichen Vorstellungskraft.
Hits: 8



















