Sie
wünschen sich mehr Sicherheit, mehr Wohlstand, mehr Beschäftigung
und endlich weniger Korruption. Eine autoritäre politische
Führung halten viele für eine gute Idee. Und von der Europäischen Union ist die Jugend auf dem Balkan geradezu begeistert – vor allem,
weil eine EU-Mitgliedschaft wirtschaftliches Wachstum verspricht.
Von ihren Regierungen
sind die Meisten dagegen enttäuscht.
Das
sind, in groben Zügen, die Meinungen einer Mehrheit
junger Südosteuropäerinnen und -europäer, die zwischen 14 und 29 Jahre alt sind. Belegen lässt sich dies in dieser Form erstmals durch die Ergebnisse einer repräsentativen Studie,
für die die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) 10.000 junge
Menschen aus zehn südosteuropäischen Ländern befragt hat und die
ZEIT ONLINE exklusiv vorliegt.
Bei
den FES
Jugendstudien Südosteuropa handelt es sich um ein
internationales Forschungsprojekt, vergleichbar mit der Shell
Jugendstudie. Vier EU-Mitglieder sowie sechs Westbalkanstaaten wurden
dafür ausgewählt: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien,
Kroatien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und
Slowenien.
Die Daten wurden 2018 mit einem einheitlichen Fragebogen
erhoben, bei dem nach Wünschen, Werten und Erfahrungen in
unterschiedlichen Lebensbereichen gefragt wurde. Die Ergebnisse, die sich aus zehn Einzelstudien und einer
überregionalen Auswertung ergeben, werden am Dienstag der Öffentlichkeit in Brüssel präsentiert.
Was bewegt die Jugend im Südosten des Kontinents? Und was hat sich
in den vergangenen Jahren verändert? Erstmals konnten die Autoren des
aktuellen Berichts auch auf Daten aus früheren
FES-Regionalstudien zurückgreifen.
Unter anderem hatte eine Südosteuropa-Studie
2015 gezeigt, dass viele junge Südosteuropäerinnen und -europäer
das
eigene Land unbedingt verlassen wollen.
Der
Braindrain hält an, scheint aber rückläufig zu sein. Vor allem in
den EU-Staaten Rumänien,
Bulgarien, Kroatien und Slowenien zeigen junge Menschen nur noch
geringes Interesse an einer dauerhaften Emigration. Anders
die Jugendlichen aus den Westbalkanländern,
deren Gesellschaften von Perspektivlosigkeit geprägt sind. Hier
können sich viele vorstellen auszuwandern. Deutschland steht ganz
oben auf
der Wunschliste.
Häufig genannt werden auch die USA, Großbritannien, die Schweiz und
Italien.
Für
die Autorinnen und Autoren der Studie stellt das keine Überraschung
dar, denn Jugendliche sind mit am stärksten von den prekären
Lebensbedingungen, der unzulänglichen staatlichen Unterstützung und
den undurchlässigen Bildungssystemen betroffen. Dies alles seien
Bestandteile “einer grundsätzlicheren Krise demokratischer
Regierungsführung in Südosteuropa”. Die Jugendarbeitslosigkeit
etwa lag 2016 zwischen 15,2 Prozent (Slowenien) und 54,3 Prozent
(Bosnien und Herzegowina).
Auch wenn die Quoten sinken, seien die Berufsaussichten für einen
Großteil der Jugend weiterhin “trostlos”, insbesondere in den
Nicht-EU-Staaten.
Vor diesem Hintergrund lassen sich
die politischen Ansichten einordnen, die die jungen Südosteuropäer
äußern. Nach ihren Ängsten gefragt, gaben 49 Prozent an, große
Angst vor Korruption zu haben. Insgesamt finden die jungen Menschen
existenzielle Probleme – Arbeitslosigkeit, Armut, unsichere
Arbeitsplätze – deutlich angsteinflößender als Themen wie
Klimawandel oder den Zuzug von Flüchtlingen.
Überraschend deutlich sind die Ergebnisse in Hinblick auf die Europäische Union. “Durchweg proeuropäisch” äußern sich die Jugendlichen;
teilweise werde die EU geradezu idealisiert, heißt es in der Studie.
Das sozialstaatliche, sogenannte Nordische Modell wird dabei
eindeutig bevorzugt. In der gesamten Region hat die Jugend
zudem
erheblich mehr Vertrauen in die EU als
in die nationalen Regierungen. Wenig verwunderlich: Mit der EU sind
große, vor allem ökonomische Hoffnungen verbunden.
Auf
die Frage “Sollte Ihr Land (…) in der Europäischen Union bleiben beziehungsweise (ihr) beitreten?” antworten 95 Prozent aller jungen
Albanerinnen und Albaner mit Ja. In Bulgarien stimmen 91 Prozent zu,
im Kosovo 89, in Kroatien 87, in Rumänien 85 Prozent. Die ohnehin
hohen Zustimmungswerte sind seit 2011 sogar noch gestiegen. Nur in
Serbien, das bereits Beitrittsverhandlungen
führt, scheint die ganz große Euphorie jedoch verflogen zu sein: Lediglich
56 Prozent der Jugendlichen votieren aktuell für einen EU-Beitritt.
Interessant auch: Obwohl sie die Korruption in ihren Heimatländern kritisieren,
zeigen viele Jugendliche (vor allem in Montenegro,
Albanien, Rumänien, Bosnien und Herzegowina) wesentlich weniger
Toleranz gegenüber Homosexualität oder Abtreibung als gegenüber
Bestechung, Vetternwirtschaft und Steuerbetrug. Die Akzeptanz für
“informelle Wirtschaftspraktiken” ist in den vergangenen zehn Jahren
erheblich gestiegen. Die Ursachen sehen die Forscher und
Forscherinnen in der wirtschaftlichen Gesamtsituation. Insbesondere
die Jugend in den Westbalkanländern habe offenbar den Eindruck,
korrupte Praktiken seien allgemein üblich – also bleibe ihnen
keine andere Wahl, als sich anzupassen.
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