/Mein größter Fail: Unser Insolvenzgrund: zu schnelles Wachstum

Mein größter Fail: Unser Insolvenzgrund: zu schnelles Wachstum

In
der Serie “Mein größter Fail” erzählen wir von großen Träumen und
innovativen Ideen, die gescheitert sind. Diesmal berichten Pola Fendel und Thekla Wilkening, 30 und 31 Jahre, von
ihrem nun insolventen Mode-Miet-Service “Kleiderei”.

Das hatten wir vor

Unsere Idee entsprang einem Missverständnis. An einem Sommerabend im Jahr 2012 saßen wir mit Freunden zum Essen zusammen, als einer von ihnen die Modeabteilung in der Bibliothek erwähnte. Während er natürlich von den Regalen mit Büchern über Mode sprach, dachten wir, in der Bücherei könnte man neuerdings Kleidung ausleihen. Nach dem ersten Gelächter wurde uns klar, wie brillant die Idee war. Geschäftsmodelle der Sharing Economy waren längst Trend: Wir alle leihen Autos, Werkzeug oder Bücher, anstatt sie selbst zu besitzen. Warum wurde dieses Prinzip nicht auch bei Mode angewendet? Als ehemalige Mitbewohnerinnen war es für uns selbstverständlich, unsere Kleidung zu teilen. Die Vorstellung eines Kleider-Leih-Services, der über den eigenen Freundeskreis hinaus geht, ließ uns nicht mehr los. Noch am selben Abend überlegte sich Polas Ex-Freund Levente einen Namen für unsere Idee: Kleiderei – eine Art Bücherei für Kleidung.

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Thekla Wilkening (links) hat Bekleidung, Technik und Management in Hamburg studiert. Heute arbeitet sie für das Start-Up Stay Awhile. Pola Fendel (rechts) leitet den Vintage-Laden Burggasse 24 in Wien. Sie hat bildende Kunst in Hamburg studiert.
© Denys Karlinskyy

Am nächsten Tag waren wir immer noch so begeistert, dass wir beschlossen, die Kleiderei zu verwirklichen. In unserem Elan ging alles sehr schnell: Wir gingen zu einer Gründerberatung und einem Steuerberater, erstellten eine Facebook-Seite und fanden einen Fotografen, der für uns Pressefotos machte – modern und cool, so wie wir uns das vorstellten. Da wir beide den Autor Albert Camus lieben, pauste Pola die Buchstaben für unser Logo aus seiner Handschrift ab und Thekla setze es dann in Illustrator um.  

“Die Kleiderei war für uns die Lösung, nachhaltig Mode zu konsumieren und trotzdem experimentieren zu können.”

Pola Fendel und Thekla Wilkening

Über Bekannte kamen wir an einen Geschäftsraum bei uns in Hamburg. Er war das Archiv für die Ausstellungsbücher einer benachbarten Galerie, der aus Zeitmangel aber kaum geöffnet war. Wir konnten den Raum mitbenutzen: die riesigen Bücherregale an den Wänden blieben, unsere Kleiderstangen kamen davor. Das war natürlich ein wunderschönes Bild, was sowohl unseren Namen als auch das Thema gemeinschaftlichen Konsum verdeutlichte. Über unsere Mütter, Freunde und Freundes-Freunde bekamen wir Vintage-Kleidung, außerdem arbeiteten wir mit Hamburger Jungdesignern zusammen. Am 31. Oktober 2012 war es soweit: Wir eröffneten die Kleiderei. Von da an konnten Mitglieder für 19 Euro einmal im Monat vier Teile ausleihen, die sie im nächsten Monat gegen vier neue eintauschten.

Das war besonders

“Buy less, choose well, make it last” – es gibt so viele Gründe dafür, Kleidung nach dem Leitspruch der englischen Modedesignerin Vivienne Westwood zu konsumieren. Mode ist ein unglaublich schmutziges Geschäft: Kinder und Frauen im globalen Süden schuften unter schlechten Arbeitsbedingungen, außerdem ist die Produktion von Baumwolle, Polyester und anderen Materialien eine enorme Umweltbelastung. Thekla studierte damals Bekleidung, Technik und Management und wir diskutierten deshalb oft darüber, wie Mode nachhaltiger werden könnte. Prinzipiell finden wir Westwoods Regel gut, nur das “choose well” entspricht nur zum Teil unserer Vorstellung von Mode. Wir lieben an Mode, dass sie eine Möglichkeit bietet, sich auszuprobieren. Man kann ein extravagantes Teil kaufen und dadurch in eine neue Rolle schlüpfen. Würde man immer genau überlegen, ob ein Kleidungsstück wirklich zu einem passt, würde das verloren gehen. Die Kleiderei war für uns die Lösung, nachhaltig Mode zu konsumieren und trotzdem experimentieren zu können.

Unsere Kundinnen sahen das offenbar genauso: Innerhalb kürzester Zeit bekamen wir immer mehr Abonnentinnen und auch unsere anfängliche Angst, die Kundinnen könnten die Kleider nicht zurückbringen, zeigte sich als unbegründet. Die Medien berichten deutschlandweit über uns und so kam es, dass uns auch Frauen aus anderen Städten schrieben, dass sie gerne Kundinnen werden wollten. Nach der anfänglichen Idee weitere Läden in anderen Städten zu gründen, entschieden wir uns im Sommer 2014, die Kleiderei von nun an online zu betreiben. Das Geld für den Onlineshop sammelten wir über ein Crowdfunding, unseren Laden mitten in Hamburg schlossen wir und mieteten stattdessen eine große Fläche außerhalb der Stadt. Jetzt funktionierte das Abo so: Frauen aus ganz Deutschland bekamen für einen monatlichen Beitrag von 49 Euro vier Kleidungsstücke zugeschickt, die sie vier Wochen lang behalten und dann gegen neue tauschen konnten.

“Bis auf das Crowdfunding haben wir nie Fremdkapital aufgenommen.”

Daran sind wir gescheitert

Wir sind gescheitert, weil die Kleiderei zu schnell gewachsen ist. Immer mehr Frauen fanden unsere Idee gut und schlossen Abos ab, bis wir irgendwann eine Warteliste einführen mussten. Um weitere Kundinnen aufzunehmen, hätten wir mehr Personal einstellen und unser Lager vergrößern müssen. Doch dazu fehlte uns das Geld. Unser Geschäftsmodell war darauf ausgelegt, dass die monatlichen Mitgliedsbeiträge alle laufenden Kosten decken. Große Investitionen ließ es also nicht zu. Für die Eröffnung unseres Ladens in Hamburg hatten wir damals unsere Ersparnisse im vierstelligen Bereich ausgegeben, von da an hatte sich die Kleiderei von selbst getragen. Bis auf das Crowdfunding haben wir nie Fremdkapital aufgenommen. Um das zu ändern, begannen wir ab 2017 parallel zum Tagesgeschäft einen Investor zu suchen. Das allein wäre eigentlich ein Vollzeitjob gewesen.

Im April 2018 konnten wir beide Aufgaben nicht mehr stemmen. Wir entschieden, uns ein halbes Jahr lang auf die Investorensuche zu konzentrieren und die Kleiderei in der Zeit zu pausieren. Eigentlich hatten wir vorher alles durchgerechnet, aber es tauchen ja doch immer irgendwelche Rechnungen überraschend auf – egal wie gut man plant. Als Thekla während unserer Pause die Buchhaltung machte, stellte sie fest, dass wir nicht alle offenen Zahlungen ausführen konnten. Sofort rief sie Pola an, um ihr zu sagen, dass wir uns verkalkuliert hatten. Wir überlegten, ob wir die Bank nicht anrufen und um einen Aufschub bitten könnten. Es ging nicht um viel Geld, doch es war klar, dass während der Pause kein neues Geld mehr reinkommen würde. Wir waren insolvent.

Viel Zeit, diese Erkenntnis zu verarbeiten, hatten wir nicht, wir wussten, dass wir das Insolvenzverfahren einleiten mussten. Noch am selben Tag riefen wir unseren Anwalt an.

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