Den Polizeiruf
unterscheidet vom Tatort nur der
Vorspann. Der aktuelle ist von betrüblicher Lieblosigkeit, dabei war das Intro
in den ersten gut 20 Jahren der Reihe zweifellos schmissiger (auch wenn an
ihm anders als beim Tatort mehrfach
rumgeändert wurde). Ein
besonderer Höhepunkt im Polizeiruf-Vorspann
ab Anfang der Achtzigerjahre: der Volkspolizei-Hubschrauber, mit dem Hauptmann
Fuchs (Peter Borgelt) in den Einsatz fliegt – schweres Gerät, das entsprechend
stolz vorgezeigt wurde.
An diese legendären Bilder kann denken, wer im Rostocker Polizeiruf: Kindeswohl (NDR-Redaktion: Daniela Mussgiller) nun Pöschi (Andreas Guenther) sieht, wie
er auf dem Flugplatz zu einem Hubschrauber eilt, um Anweisungen für die Suche
nach zwei vermissten Jugendlichen zu geben. Für ein paar Augenblicke bricht der Imagefilm in die Fiktion ein – es geht hier mehr um den Stolz, vorzeigen zu können, was so ein ARD-Sonntagabendkrimi
alles in Bewegung setzen kann, als darum, die Geschichte voranzubringen.
Die beiden Gesuchten sind der Bukoff-Sohn Samuel (Jack Owen Berglund) und dessen gewalttätiger Freund Keno (Junis Marlon). Keno hat beim
Ausbüxen aus einem Kinderheim den Leiter Stig Virchow (Matthias Weidenhöfer)
erschossen und will nun in Begleitung von Klein-Bukoff nach Polen, wo ein
Ex-Heimkollege auf einem Hof untergebracht ist.
Das ist auch schon die schlichte Geschichte von Kindeswohl. Besonders spannend wird der Polizeiruf nie. Was daran liegt, dass er
nicht nur Kriminalfilm sein darf, sondern nebenher von strukturellen Problemen
im Geschäft mit der Jugendfürsorge erzählen soll. “Derzeit leben etwa 850
Kinder aus Deutschland in Pflegefamilien im europäischen Ausland”, heißt
es in einem nachdenklich-mahnenden Insert am Ende, das ein Motiv des Films als
gesellschaftlichen Missstand bedeuten will (Kenos Freund geht es bei der
polnischen Pflegefamilie nicht gut, dank derer der Kinderheimträger aber
ordentlich Geld verdient).
In Wahrheit ist die nachgereichte Information eine
Kapitulation vor den Möglichkeiten fiktionalen Erzählens: Wäre der Film
packend, müsste ihm das Faktische nicht extra Gewicht verleihen (Drehbuch:
Christina Sothmann, Lars Jessen). Genre-Theoretiker könnten freilich anmerken,
dass diese Form von “Thematisierung” seit geraumer Zeit den
ARD-Sonntagabendkrimi charakterisiert.
Dabei hält der Film nur den großen Zeh ins Meer des
Systemischen. Das Geflecht besagter Jugendfürsorge wird oberflächlich
beschrieben. Mit der mit Keno fühlenden Betreuerin steht eine Rolle bereit, die
Christina Große schon häufig gespielt hat. Als Antagonistin soll Anna Brüggemanns
kühle Virchow-Witwe fungieren, die als Geschäftsführerin zuerst am Geschäft interessiert
ist (und nicht an der Erziehung der Kinder aus problematischen Verhältnissen). Die
Konstellation unter den verschiedenen Kräften im Heim und bei der zuständigen
Behörde lässt den Konflikt nur erahnen. Als hoffnungsvolles Nachwuchstalent empfiehlt
sich dagegen Jan “Monchi” Gorkow, der Sänger der beliebten Band Feine Sahne Fischfilet, der als ein Erzieher im Heim auftritt.
Kindeswohl ist
aber auch deshalb eine der schwächsten Rostocker Folgen (Regie: Lars Jessen),
weil die Ermittlung ohne Lust an Details entworfen ist. Die Jungen sind auf der
Flucht, die Polizei ist hinter ihnen her, aber wenn eine Streife an einer
Bushaltestelle junge Menschen kontrolliert, dann hat sie nur Augen für eine
größere Gruppe – Keno und der Bukoff-Sohn, die etwas weiter links neben dem
Schild mit dem Fahrplan stehen, können sich auffällig entfernen, ohne eines
Blicks gewürdigt zu werden.
Der Stil von Kindeswohl
gefällt sich in einer – durchaus gekonnten – melancholischen Inszenierung von
Verlorenheit. Es ist Winter in diesem Deutschland, und es gibt tolle Aufnahmen
von Raststätten und pittoresk verfallenen polnischen Höfen (Kamera: Kristian Leschner). Der wiederholte Einsatz von Drohnen, die über verschneite
Waldlandschaften ziehen, erscheint derweil ähnlich unmotiviert wie die zur
Hälfte angeschnittenen Gesichter in Köln vergangene Woche.
Und vor allem fällt dem Film wenig ein, was er mit dem Potenzial
seines so tollen Stammpersonals machen könnte. Dabei sind etwa die schroffen Abkürzungen,
die das unmittelbare Spiel von Charly Hübner nehmen kann, etwas Kostbares.
Gerade in der Auseinandersetzung mit Frau König (Anneke Kim Sarnau). Oder dem
Konflikt mit Everybody’s Volker (Josef Heynert), dem neuen Lover seiner Noch-Frau
Vivienne (Fanny Staffa). Der eine kommt aber kaum vor, und die andere muss als
Aufpasserin von Bukoff herhalten.
Dass der Kommissar in einem Fall, in den sein eigener Sohn
verwickelt ist, nicht ermitteln dürfte, führt hier nur zu einem merkwürdigen
Auftritt von Chief Röder (Uwe Preuss). Der erklärt Frau König (eigentlich: dem Publikum
– und das lässt es so aufgesagt wirken), warum der Umstand der Befangenheit
keine Rolle spielt: “Frau König, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass
sich Bukoff nicht fernhalten lässt.”
Wenn Kindeswohl
eine ärgerliche Folge ist, dann ist sie das immer noch auf gehobenem Niveau (im
Vergleich mit anderen ARD-Sonntagabendkrimis). Und der Ärger ist wie immer das
Leiden daran, wie dieser so spezifische Schauplatz seine Möglichkeiten an den
Dienst nach Vorschrift verschenkt.
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