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Milieuschutz: Die Hausretterin

Alles
ist anders an diesem Abend in Elena Poeschls Neuköllner Wohngemeinschaft. Bundestagsabgeordnete
und Lokalpolitiker drängen sich mit Sektflöten in der Hand im schmalen Flur ihrer
Zweier-WG, ein Journalist und ein Mieterlobbyist sind auch dabei. Ihnen allen will
die 25-jährige Studentin und Hausretterin Poeschl heute danken, sie hat zum
Nudelessen eingeladen. 

Bemüht herzlich und ziemlich unter Strom bittet sie ihre
Gäste in ihr viel zu kleines Zimmer. Eine Kerze und zwei Töpfe Supermarktbasilikum schmücken den
ausziehbaren Schreibtisch.

Alle
zusammen haben sie es in den vergangenen Monaten geschafft, das Berliner
Mietshaus, in dem Poeschl lebt, vor einem dänischen Investor zu retten. Es wurde viel beraten, gestritten und gebangt – und aus der unscheinbaren
Studentin ist innerhalb kurzer Zeit eine überzeugte und vor allem erfolgreiche
Mietaktivistin geworden. Noch im vergangenen November hatte sie um ihre
eigene Wohnung im umkämpften Berliner Wohnungsmarkt gebangt, heute ist sie eine von
denen, die vielen Bewohnerinnen Sicherheit zurückgegeben haben. Aber ohne die Gäste, ihre Verbündeten, hätte sie es nicht
geschafft.

Die
Gesellschaft hat Platz genommen, ein Gespräch kommt nur
stockend in Gang. Ein offizieller Termin in einer Studenten-WG, das ist
ungewohnt; vielleicht ist auch nur der Platz zwischen Tisch und
Kleiderschrank zu eng.

Im
November schien für Poeschl ihre Welt zusammenzubrechen. In einem Brief des Neuköllner Bezirksstadtrats Jochen Biedermann (Grüne) an die Hausbewohner stand: Das Haus ist an einen Investor verkauft worden. In Berlin ist das nichts
Ungewöhnliches, die Stadt erlebt seit Jahren rasant steigende Mieten und leidet
unter fehlendem Wohnraum. Es ist eine Folge der großflächigen
Privatisierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften in den Neunzigerjahren
und des seit Jahren anhaltenden Zuzugs in die Hauptstadt. Poeschls Haus gehörte
zu einem Immobilienportfolio mit 3.700 Wohnungen, das der bisherige Eigentümer
Industria Wohnen dem dänischen Rentenfonds PFA verkaufte. Mehr als eine Milliarde
Euro hat die PFA für dieses Paket bezahlt, es war das größte Einzelinvestment im
deutschen Wohnungsmarkt im Jahr 2018. Normalerweise bedeutet so etwas für die
Mieter ungewollte Modernisierungen und erhebliche Mietsteigerungen, viele müssen ihre Wohnung aufgeben.

Die Möglichkeiten des Milieuschutzes

Aber
Bierdermanns Brief machte auch ein wenig Hoffnung. Poeschls Haus liege in einem
Milieuschutzgebiet, hieß es darin, und in Milieuschutzgebieten haben die Gemeinden ein Vorkaufsrecht. Die Gemeinde, in diesem Fall der Bezirk Neukölln, darf eine städtische Wohnungsbaugesellschaft hinzuzuziehen, die das Haus
anstelle des Investors kaufen kann. Zwei Monate Zeit hat der Bezirk (ab Eingang des Kaufvertrags), dieses Vorkaufsrecht auszüben. In Neukölln gibt es sieben
Milieuschutzgebiete, berlinweit sind es 57. Grundlage ist der Paragraf 172 des Baugesetzbuches,
der es Gemeinden ermöglicht, Gebiete zu
bestimmen, in denen die “städtebauliche Eigenart” oder die “Zusammensetzung der
Wohnbevölkerung” geschützt werden sollen.

Voraussetzung für einen erfolgreichen
Vorkauf ist die komplizierte Konstruktion, dass der Käufer keine sogenannte
Abwendungserklärung unterschreibt (mit der er den Verkauf in städtische Hand
abwenden würde), mit der er versichern würde, sich an Auflagen des Bezirks zu
halten, womit er die Immobilie erwerben dürfte. Meist unterschreiben die
Investoren in Berlin diese Abwendungserklärungen. Immer wieder gelingt es aber, die Immobilien in städtischen Besitz zu bringen. Biedermann schreibt, er
könne nicht garantieren, dass das Haus gerettet werden könne, aber man prüfe
die Optionen.

Die
Größe der Immobilie und der damit verbundene Kaufpreis machten die Suche nach
einem Drittkäufer in diesem Fall schwierig. Betroffen waren zwei vierstöckige Häuser, die fast
die gesamte Länge einer kleinen Straße im Stadtteil Rixdorf säumen. Hier ist das alte
Neukölln noch deutlich spürbar: Ungefähr 300 Menschen leben in diesen
Häusern, verteilt auf 140 Wohnungen, darunter Rentner und Menschen mit geringem
Einkommen, viele seit Jahrzehnten. Geografisch ist diese Gegend ist nicht weit vom
Epizentrum der Berliner Gentrifizierung entfernt, dem sogenannten Kreuzkölln an
der Grenze zu Kreuzberg. In Rixdorf, kurz vor dem S-Bahn-Ring, ist der Wandel auch schon spürbar,
aber hier ist noch Luft nach oben, auch was den Quadratmeterpreis betrifft. Das
Portfolio des Vorbesitzers der Immobilie, der Industria, sei auf
“wirtschaftsstarke Ballungsräume und die damit verbundenen
Entwicklungspotenziale ausgerichtet”, heißt es in einer Pressemittelung des
Verkäufers. Das hatte den dänischen Käufer offenbar überzeugt.

Das Ziel ist klar

Poeschls
Wandel zur Mietaktivistin begann im Rathaus
Neukölln, der grüne Bezirksstadtrat Biedermann hatte die Anwohner eingeladen, um
ihnen zu erklären, welche Schritte möglich wären, um den Verkauf des Hauses an den dänischen Investor noch abzuwenden. Er wolle alles in der Macht des Bezirks Stehende dafür tun, brauche aber die Unterstützung der Mieter. Wäre jemand bereit, die
Zusammenarbeit zwischen Anwohnern und Bezirk zu koordinieren? Stille. Nach ein
paar Sekunden hob Poeschl die Hand, als Einzige.

Sie
stellte sich dem Saal voller besorgter Nachbarn mit Namen und
Hausnummer vor. Sie sei glücklich, hier zu leben, die Nachbarschaft liege ihr
am Herzen. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihre Stimme zitterte. Eine
verbissene Entschlossenheit ging von ihr aus, diese Straße nicht vor die Hunde
gehen zu lassen. 

Am Ende des Abends war das Ziel der Anwohner klar: Niemand im
Saal wollte die Option einer Abwendungserklärung, zu groß war das Misstrauen
gegenüber dem gesichtslosen Investor. Sicherheit versprach allein der
Vorkauf durch eine städtische Gesellschaft. Dafür würden sie kämpfen. Mit
Poeschl als ihrer Sprecherin. 

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