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Discounter-Mode: Ich trage Billig!

Discounter-Mode: Die Deutschen kaufen obszön viele Klamotten, aber es ist kein prekariatgemachtes Problem.

Die Deutschen kaufen obszön viele Klamotten, aber es ist kein prekariatgemachtes Problem.
© Bobby Doherty/New York Magazine

Als Kind leuchtete ich. Grelle Farben, wilde Muster, bunte Kleidung. Wenn
ich anderen heute Kinderfotos von mir zeige, können die meisten problemlos das Jahrzehnt
zuordnen – ehe sie in Gelächter ausbrechen. Es waren die Neunziger, und eigentlich war ich mit
meinem leuchtenden Look modisch total auf der Höhe der Zeit.

Gut gekleidet hab ich mich trotzdem nie gefühlt. Im Gegenteil: An der Schule wurde ich wegen meiner Klamotten gehänselt. Keine Ahnung, woran die anderen erkannten, dass ich Billigkleidung trug, richtig billig, nicht mal von der Stange, denn die gibt es bei Aldi und Lidl nicht. Vielleicht bekommen Mittelschichtskinder zu Hause einen Katalog in die Hand, in dem die feinen Unterschiede mit Bildern erklärt werden. Vielleicht lag es auch nur daran, dass die Discounter kaum Auswahl hatten, Kinder aus Familien ohne viel Geld also alle immer mehr oder weniger das Gleiche trugen. Selbst meinen Lieblingspulli wollte ich irgendwann nicht mehr anziehen. Die Kinder in der Schule fanden, ich hätte ihn zu oft an.

Heute gucke ich nachmittags manchmal auf Vox Frauen dabei zu, wie sie sich für die Sendung
Shopping Queen
innerhalb weniger Stunden mit 500 Euro ein stimmiges Outfit zusammenstellen. Wer es schafft, wird gefeiert. Ich selbst habe früher an einer ähnlichen Challenge teilgenommen: Als Jugendliche bekam ich von meiner Mutter ab und zu 50 Mark und den Auftrag, mir davon mindestens eine Jeans, einen Pulli und ein Shirt zu kaufen. Diese Herausforderung beschäftigte mich dann einen ganzen Nachmittag lang in der Kölner Innenstadt, anschließend war das Budget für einige Zeit erschöpft.

Mit 500 Euro hätte ich wahrscheinlich fünf Outfits zusammen plus einen fetten Einkauf im Supermarkt. Aber bei
Shopping Queen
gehen sie nie zum Discounter. Läden wie Primark, Kik und Lidl, aber auch C&A oder H&M finden in der Welt der Shopping-Queens nicht statt. Leider.

Billigmode ist in Deutschland nämlich verpönt – während günstige Klamotten beliebt sind. Was billig ist und was günstig, bestimmen diejenigen, die eine Wahl haben, also Geld. Schon das Wort “billig” ist negativ besetzt. Als Synonyme schlägt das Lexikon unter anderem die Adjektive unbedeutend, seicht und ideenlos vor. Wer dagegen günstig (lukrativ, lohnend) kauft, verdient Respekt. Wow, ein Schnäppchen!

Die Kritik an billiger Kleidung wird meistens moralisch begründet. Und natürlich empört es auch mich, dass am anderen Ende der Welt Arbeiter ausgebeutet werden, damit wir halbwegs erschwingliche Klamotten tragen können. Es ist nur erstaunlich, wie wenige Menschen es moralisch verwerflich finden, dass in einem reichen Land wie Deutschland so viele Leute leben, die – mit und ohne Jobs – so wenig Geld verdienen, dass sie sich von vielleicht 100 Euro für ein ganzes Jahr einkleiden müssen. Und kommen Sie mir nicht mit den 37,16 Euro, die Hartz IV monatlich für Kleidung vorsieht. Bei den meisten geht der komplette Regelsatz fürs Überleben drauf.

Ich will nichts schönreden. Die Kleidung, die bei Billigketten verkauft wird, stammt häufig aus Fabriken, in denen vor allem Frauen für Hungerlöhne arbeiten. Sie nähen dort aber nicht nur Klamotten, die am Ende bei Primark oder H&M hängen. Eine Studie der Clean-Clothes-Kampagne, an der weltweit rund 200 NGOs und Verbände beteiligt sind, hat die Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Osteuropa untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich die billigen und die prestigeträchtigen Marken am Ende nicht allzu viel geben.

Zara und H&M beschäftigten in der Türkei syrische Einwanderer ohne jeglichen arbeitsrechtlichen Schutz. Adidas zahlte in Georgien so wenig, dass die Arbeiter sich von ihrem Lohn nicht einmal ernähren konnten: Für einen achtstündigen Arbeitstag bekamen sie dort gerade einmal fünf Euro Lohn. Pro Tag, wohlgemerkt. Immer wieder wird in der Studie von sexueller Belästigung, unbezahlten Überstunden und weitreichenden Gängelungen berichtet – länderübergreifend und unabhängig vom Label des Auftraggebers.

Die Clean-Clothes-Kampagne hat auch die Arbeitsbedingungen zweier Fabriken in Moldawien untersucht. Ergebnis: Die Arbeiterinnen nähen dort für gerade mal 20 Prozent des Existenzminimums. Primark zählt zu den Kunden der Fabriken. Aber auch: Versace. Und Dolce & Gabbana. Und Armani. Allerdings setzt sich kein Unternehmer im Designer-Anzug gern mit der Tatsache auseinander, dass sein stilvolles Lieblingsstück aus denselben Fabriken stammt wie das Sechs-Euro-Shirt, zu dem die kleinen Angestellten greifen, die seinen Wohlstand erarbeiten. Muss er auch nicht – er trägt ja Designer-Klamotten, wird schon irgendwie okay sein, dafür hat er schließlich viel Geld bezahlt.

Die ARD berichtete im November, dass jeder Deutsche pro Jahr durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft. Das sind obszön viele Klamotten. Und das ist ein Problem. Aber kein prekariatgemachtes: Selbst wenn jedes dieser 60 Kleidungsstücke nur zehn Euro gekostet hätte, ergäbe das eine Summe von 600 Euro im Jahr. Unerschwinglich selbst für Menschen, die vom Mindestlohn leben. Wer also kauft all diese Sachen? Ich vermute, dass es genau diejenigen sind, die sich so gerne als moralisch überlegene Konsumenten verstehen. Die Leute, die ihre Nase beim Primark-Pullover rümpfen, während sie ihre ebenfalls unter ausbeuterischen Verhältnissen produzierte Seidenbluse glatt streichen.

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