Verlieren Sie langsam den Durchblick zwischen all den horizontalen und vertikalen Serien auf Netflix, Amazon, Sky und im Free-TV? Oder sind Sie einfach nur auf der Suche nach gutem Fernsehen, wollen womöglich sogar gepflegtes Binge-Watching betreiben? In unserer Serienkolumne besprechen wir die interessantesten Neustarts des Monats.
Zum am meisten erwarteten Serienstart dieses Monats – ach was, der vergangenen zwei Jahre! –, der finalen Staffel von “Game of Thrones”, gibt es natürlich noch GAR NICHTS zu verraten. Glauben Sie bitte auch nicht, was Hauptdarstellerinnen in Talkshows angeblich enthüllt haben. Verlässlich ist nur eins: “Valar Morghulis – All men must die”.
“Quicksand – Im Traum kannst du nicht lügen”
Quicksand beginnt, als alles schon zu spät ist. Mit ruhiger Hand fährt die Kamera über den blutverschmierten Fußboden eines Klassenzimmers. Kurz bleibt sie an Details hängen, einem Turnschuh, einem Jagdgewehr, an Leichenteilen. Dann fokussiert sie den Körper einer jungen Frau, hangelt sich daran entlang und erreicht schließlich das Gesicht von Maja Norberg, ausdruckslos und ebenfalls blutverschmiert. Sie lebt, als Einzige im Saal, und doch ist ihr Leben in diesem Moment vorbei. Eine Sanitäterin eilt an ihre Seite, wenig später auch die Polizei. Ist die angehende Abiturientin Überlebende eines Amoklaufs? Oder ist sie selbst dafür verantwortlich?
In sechs Folgen versucht Quicksand, diese Fragen zu klären. Die erste schwedische Netflix-Produktion basiert auf dem Roman Im Traum kannst du nicht lügen von Malin Persson Giolito und verdichtet dessen Schilderung eines Massakers an einer Stockholmer Schule zur Anklage gegen die Gepflogenheiten der schwedischen Upperclass und deren Umgang mit dem eigenen Nachwuchs und den Menschen, die sie als Fremdkörper im eigenen Land ansehen. Stellvertretend für ihr Milieu wird Maja (Hanna Ardéhn) der Prozess gemacht. Rückblenden zeigen sie als reizüberfluteten Teenager zwischen Schulbank und Jachturlaub, ersten Drogenpartys und Landhauswochenenden auf Opas pittoreskem Anwesen.
Der Kernkonflikt von Quicksand entspinnt sich als Liebesdreieck zwischen Maja und zwei Klassenkameraden: dem obszön reichen Berufssohn Sebastian Fagerman (gespielt vom schwedischen Boygroupstar Felix Sandman) und dem syrischen Geflüchteten Samir Said (William Spetz). Maja fühlt sich zu Intelligenz und Ambitionen von Letzterem hingezogen, landet jedoch immer wieder in den Armen von Ersterem. Als Partylöwe mit abwesenden Eltern hat Sebastian einfach das unterhaltsamere Leben zu bieten.
Auch die beiden männlichen Hauptrollen in Quicksand sind als Stellvertreter ganzer Gesellschaftsschichten angelegt – und doch gelingt es der Autorin Camilla Ahlgren (bekannt als Schwedenkrimi-Veteranin und Drehbuchdoktorin hinter der Millennium-Trilogie), daraus ein Szenario zu entwickeln, das sich nicht in Klischeevorstellungen über verwöhnte reiche Bengel und sogenannte gute Migranten erschöpft. Bis zum Schluss lässt die Serie offen, welche ihrer Protagonisten aus Boshaftigkeit, Eifersucht oder Notwehr handeln. Ungeachtet dessen begegnet sie Maja, Samir und Sebastian mit einer unumstößlichen Empathie, die sich als heimlicher Star von Quicksand erweist.
(Daniel Gerhardt)
Die sechs Folgen von “Quicksand” laufen auf Netflix.
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