Tag 1
Wir beginnen mit einer Reise durch Raum und Zeit. Schauplatz ist der
mächtige Bau des Grassimuseums am
Johannisplatz aus den 1920er-Jahren. Sein Herzstück, die Pfeilerhalle, ist ein
Wunderwerk im schönsten Art déco. Die 18 hohen Fenster im Haupttreppenhaus, das
das weitläufige Foyer mit den oberen Etagen verbindet, wurden vom Dessauer
Meister Josef Albers entworfen und erzählen von der Strahlkraft des Bauhauses.
Das Schicksal des Grassimuseums ist ein typisches in der deutschen Geschichte
des 20. Jahrhunderts: errichtet als Monument der Moderne in der Weimarer Republik, im Krieg schwer zerstört, in der DDR nur rudimentär wiederhergestellt
und noch in den Nachwendejahren eine graffitiübersäte Teilruine. Seit der
großen Sanierung Anfang der 2000er-Jahre kann das Grassi nun wieder an den
Glanz der Anfangsjahre anknüpfen. Es umfasst gleich drei Museen. Wir beschränken
uns diesmal auf das für Angewandte Kunst,
das allein genug für tagelange Entdeckungstouren zu bieten hat. Nach Keramiken
der römischen Antike und Höhepunkten der mittelalterlichen Schnitzkunst
bestaunen wir chronologisch ein Füllhorn der Kulturgeschichte: bizarre
Wunderkammerobjekte der Barockzeit, gemalte Tapeten des Klassizismus, die auf
Vorlagen Piranesis basieren, Daguerreotypien und frühes Industriedesign,
Jugendstilvasen und Thonet-Stühle, Imari-Figuren aus Japan und
Macintosh-Computer aus den USA.
Nachdem wir en detail erleben
konnten, was die Menschheit an Schönem und Nützlichem geschaffen hat, spazieren
wir zum Augustusplatz, der von der
Zerstörungswut erzählt. Im Jahr 1968 ließ die DDR-Regierung gegen den
Widerstand vieler Leipziger die im 13. Jahrhundert errichtete Paulinerkirche
sprengen, die älteste Universitätskirche Deutschlands. Seit eineinhalb Jahren
steht an ihrer Stelle das Paulinum, ein
von außen gewöhnungsbedürftiger Zwitter aus Kirche und Aula, dessen lichter,
hoher Innenraum durch das Hauptgebäude der Universität betreten wird und zum
Verweilen einlädt. Es beherbergt einige bedeutende Sakralkunstwerke der
Renaissance und des Barock – ein interessanter Kontrast zur Kargheit der
Architektur.
Unsere Mittagspause verbringen
wir nahe der Uni: Das Café Barbakane
befindet sich in der Moritzbastei, der alten Stadtbefestigung. In der DDR-Zeit
legten Studenten die Überreste eigenhändig frei und schufen ein Kulturzentrum,
wo nun seit Generationen Studierende ihre Partynächte feiern.
Neben der Moritzbastei wartet
dann das Neue Gewandhaus auf uns. Seine Existenz ist dem
damaligen Kapellmeister Kurt Masur zu verdanken, der das Gewandhausorchester
über Jahre prägte und den Neubau von 1981 durchsetzte. Auch ohne Konzertticket
sollte man unbedingt hineingehen, denn das riesige Deckenfresko “Gesang vom
Leben” des Leipziger Malers Sighard Gille ist spektakulär.
Wir bleiben beim Thema Musik und
spazieren die Grimmaische Straße in Richtung Thomaskirche. Auf dem Weg
passieren wir das Alte Rathaus, einen
eindrucksvollen Renaissancebau, in dem heute das Stadtgeschichtliche Museum
untergebracht ist, und werfen einen Blick in die schöne Mädler-Passage, wo
Auerbachs Keller Scharen hungriger Bildungsreisender versorgt. In der Thomaskirche angekommen, halten wir vor der
Grabplatte Johann Sebastian Bachs inne
und danken dem größten Komponisten aller Zeiten für seinen Beitrag zur
Schönheit der Welt. Seine Musik kann man hier regelmäßig live erleben, jeden
Freitag und Samstag lässt der berühmte Thomanerchor Bach’sche Motetten
erklingen.
Wer mehr über Bach und seine Zeit als Thomaskantor in Leipzig erfahren
möchte, dem sei das Bach-Museum gleich neben der Kirche empfohlen. Ganz beseelt
von überirdischen Klängen schlendern wir zurück zum Gewandhaus, wo wir im Restaurant Stadtpfeiffer
den ersten Tag kulinarisch beschließen.
Hits: 19