Die
Funktionen einer
Küche bringen es mit sich, dass an diesem Ort sehr viel Unordnung
entsteht: Die
Einkäufe liegen wild herum, beim
Kochen werden Töpfe benutzt, das
Essen macht die
Teller dreckig, die Reste verschmutzen
den Mülleimer, und irgendwer hat sich immer gerade etwas zu trinken
eingeschenkt, ohne danach Glas und Flasche wieder wegzuräumen.
In
Küchen wird mehr Chaos als in anderen Zimmern der Wohnung
produziert, denn Lesen, Fernsehen, Telefonieren und Schlafen zum
Beispiel gehen nahezu spurlos am Zuhause vorbei. Wäre
die Broken-Window-Theorie nicht für schlecht beleumundete
Stadtviertel erfunden worden, in denen eine zerbrochene Glasscheibe
der Anfang allen Übels ist, man könnte sie auf Küchen anwenden:
Ein einziges Glas nicht weggeräumt, ein paar Brötchenkrümel nicht
fortgefegt, und schon bricht sich der Vandalismus Bahn. Sehr gut auch
in Büroküchen zu beobachten.
Um
dem zu begegnen, gibt es zwei Möglichkeiten: erziehen oder
kaschieren. Die erzieherische Küche will, wie ein Vorläufer von
Marie Kondos Kleiderschränken, die Bewohner durch weißen Laborcharme zum Wischen und Ordentlichsein bewegen. Die kaschierende
Küche ist gnädiger und weniger spaßbefreit, sie lässt die Krümel
einfach möglichst ästhetisch aussehen und bringt die Assoziation
mit sich, dass sich in diesem Raum gerade noch ein Mensch mit Hunger
ein Brot gemacht hat.
Solche
Heimeligkeit wurde lange durch viel Holz erreicht, helles Holz nach
skandinavischer Manier, auf dem Brösel und Gemüseabschnitte
dekorativ aussehen können. Doch generell scheint sich der nordische
Baumarktcharme sägerauer Platten und gewachster Sperrholztüren
gerade etwas erschöpft zu haben: Küchen sind jetzt nämlich
schwarz. Nicht lackschwarz und hochglänzend wie in den
großstädtischen Renommierküchen der Nullerjahre, in denen weder
gekocht noch gegessen wurde, weil jeder Fingerabdruck
scheußlich aussah auf den spiegelnden Flächen.
Nein,
die Küche des Moments ist schwarz wie ein schwarzes Loch – ein
weiches, ins Anthrazitgraue spielende Schwarz, das matt und dadurch
unkonturiert wirkt und trotz der hohen Kontrastwirkung möglichst
keine harten Kanten bilden soll. Es sieht bestenfalls schon leicht
abgewetzt oder wie mit viel schwarzer Tusche dahingemalt aus. Diese
Küchen sind, bei so vielen ästhetischen Vorbedingungen, zwar auch
nichts anderes als Inszenierungen, geben aber Einfachheit und
Bescheidenheit vor.
Schon
im vergangenen Jahr war auf der Mailänder Möbelmesse der schwarze Block
vorgerückt, meistens recht theatralisch inszeniert: ein paar krumme
Schüsselchen, die dem japanischen Prinzip des Wabi-Sabi, der
Schönheit des Versehrten, huldigten, eine Leiter für die
Küchenhandtücher im Hintergrund an die Wand gelehnt, über der
Kochinsel baumelten schmiedeeiserne Pfannen von einem Gestell.
Seitdem ist die schwarze Küche vom High End in den Massenmarkt
vorgerückt, von Boffi zu Ikea, dort sind die düsteren Fronten sogar
aus recyceltem Holz und PET hergestellt. Auch das sorgt für jenen
samtigen Griff, der das neue Schwarz auszeichnet und unter dem
Begriff soft touch geradezu sinnlich klingt – auch wenn es bloß um
die Tür zum Topfkarussell geht.
Passend dazu gibt es schwarze Backöfen, schwarz
verkleidete Kühlschränke, schwarze Keramikspülen und schwarze
Wasserhähne. Wer sich alles auf einmal bestellt, fühlt sich
vermutlich wie in Graf Draculas Winterküche: Nie wird hier ein
Sonnenstrahl hineinfallen. Deswegen empfehlen die meisten Firmen eine
Kombination mit rustikaleren Hölzern wie Eiche, was aber auch nicht
wirklich erhellend ist.
Verblüffend
ist, dass Obst und Gemüse vor schwarzem Hintergrund sehr viel
naturbelassener und ursprünglicher als vor Weiß wirken: Mit
klinisch reinem Untergrund schaut der Apfel fast zwangsläufig aus
wie im Supermarktprospekt, künstlich ideal statt naturbelassen.
Sogar
Fleisch kommt auf Schwarz besser zur Geltung und wirkt nicht wie
gerade durch die Trichinenuntersuchung gefallen. Das sieht besonders auf Fotos auffällig gut aus, besser als in der Realität.
Möglicherweise ist die düstere Küche der erste Designtrend, der
durch Instagram verursacht wurde: Kaum ein Foodblog, das Bowls oder
Ofengemüse nicht auf schwarze Bretter und Teller hievte und Törtchen
vor schwarzem Hintergrund in Gewitterlicht taucht. Schwarz macht alles bedeutender,
dramatischer, malerischer und kann sich dabei doch auf monochrome
Schlichtheit berufen. Dieser Effekt gelingt sogar mit einer
Erbsensuppe aus der Dose.
Hits: 58