Für den an der Moderne geschulten Menschen ist der Klimawandel eigentlich eine intellektuelle Beleidigung. Die sich anbahnende Katastrophe ist viel zu simpel, ja, sie ist extrem unterkomplex, weil sich angesichts der steigenden Temperaturen und des Tempos, in dem laut der Wissenschaft nun umgesteuert werden muss, nur sagen lässt: ja, ja, nein, nein. Das von nachdenklichen Menschen geliebte Einerseits/Andererseits ist durch diesen Ernstfall ausgehebelt, alle Graustufen sind weggewischt, mit denen man sich als lebenserfahrener Grübler sonst selbst genüsslich quält.
Die Dramatik der Situation – in den nächsten zehn Jahren, sagen Klimawissenschaftler, werden die Weichen gestellt – ist von der Art, dass es tatsächlich nur die Entscheidung zwischen Handeln oder Bremsen gibt. Wobei zu letzterem auch das Nichtstun und das Nicht-entschieden-sein gehört, weil der Status quo von allein auf die Katastrophe zusteuert – wo sich diese wie im von Dürre geplagten Ostafrika nicht eh schon eingestellt hat. In Zeiten der Klimakrise also erscheinen Denkfiguren überholt, die zentral und rundweg positiv besetzt waren seit Mitte des 20. Jahrhunderts: die Ambivalenz, die Mehrdeutigkeit, die Unentscheidbarkeit.
Die Welt wird immer komplexer: Das war die Hypothese, mit der wir in den vergangenen Jahrzehnten hantiert haben. Was aber, wenn die beim Klimawandel nicht mehr stimmt? Zwar lässt sich dessen genauer Verlauf und seine Effekte nur in Näherungswerten prognostizieren. Doch die Katastrophe selbst bleibt als Faktum total vorhersehbar.
Wie dumm der Mensch sein kann
Umso schwerer ist zu schlucken, dass der Mensch tatsächlich so dumm sein konnte, seinen Heimatplaneten Erde so weit aufzuheizen, dass ihm in der Folge die Lebensgrundlage abhandenkommen könnte. Der Autor und Journalist Reiner Klingholz schrieb, “dass wir, ungeachtet aller technischen Möglichkeiten, die Natur nicht in einem Zustand erhalten können, der uns gewogen wäre”. Klingholz erkannte darin, in Anlehnung an Sigmund Freud, eine Kränkung der Menschheit, vergleichbar den großen anderen Kränkungen der Menschheitsgeschichte: der kopernikanischen Entdeckung etwa, dass der Mensch nicht Mittelpunkt des Universums ist; Darwins Nachweis, dass der Mensch in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zum Affen steht; oder eben Freuds Konzept, dass der Mensch weitgehend von Trieben bestimmt ist, die ihm verborgen bleiben.
Die ausdifferenzierte Moderne hat uns komplizierte (und oft doch so schlichte) Wesen dann gelehrt, jegliches Geschehen auf der Welt als weitgehend unsteuerbar zu verstehen. Denn es finde in Systemen und Strukturen statt, die auf schier undurchschaubare Weise von äußerlichen Impulsen, durch Wechselwirkungen und sich selbst verstärkende Effekte in Gang gehalten würden. Aus Angst, Verschwörungs- oder Strippenziehertheorien aufzusitzen, minimieren wir Vernunftbegabten deshalb lieber das menschliche Handeln zu einem Systemeffekt der Struktur und übersehen, dass bei aller Struktur dann doch Menschen die Geschichte machen.
So wie jetzt die jungen Menschen, die seit einer Weile freitags unter dem Fridays-for-Future-Banner auf die Straße gehen. Sie handeln und folgen dabei dem Beispiel von Greta Thunberg. Sie protestieren für ihre Zukunft und gegen die Erwachsenen und deren Versagen. Letztlich lehnen sich die Jungen auch gegen die Gewissheit der Älteren auf, alles sei so furchtbar komplex, dass man genau abzuwägen habe, was nun zu tun sei. Dabei nehmen die Jungen erst mal nur wahr, was man schon immer für das Privileg der Jugend hielt: Sie sie sind beseelt von Idealismus, aber erkennbar auch von Wut durchdrungen. Ihre Forderungen sind absolut – in anderen politischen Kontexten würde man sie womöglich gar populistisch nennen. Nur: Angesichts der Klimakatastrophe lässt sich dagegen wenig einwenden.
Dieser Punkt ist darum so heikel und die offenbare Richtigkeit des Schwarz-Weiß-Denkens der protestierenden Schülerinnen und Schüler angesichts des Klimawandels auch deshalb so schwer zu akzeptieren, weil die Anerkennung von Ambivalenz eine wirkliche Errungenschaft ist, eigentlich das Lebenselixier der liberalen Demokratie. Denn nur, wenn es in den grundlegenden Fragen kein Richtig und kein Falsch gibt, kann die Tugend gedeihen, Kompromisse zu finden. Und darauf sollen wir jetzt verzichten?
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