Ein Forscherteam in dicken, roten Jacken
steht inmitten der Arktis, als sich plötzlich von einer nahe gelegenen
Eisbergkette ein großer Felsen löst. Der mächtige Aufprall schlägt einen Graben
ins Eis, Teile des Teams werden in den Abgrund gerissen. “Der menschliche
Fortschritt kennt keine Grenzen”, sagt eine Frauenstimme aus dem Off, “doch das
hat auch immer seinen Preis.”
So beginnt das Intro zur Erweiterung Gathering
Storm des Strategiespiels Sid Meier’s Civilization VI. Gamerinnen
und Gamer sollen darin nun erstmals das “Ökosystem der Spielwelt” beeinflussen
können. Was das bedeutet? Nun, Spieler können die Erderwärmung selbst
herbeiführen, indem sie sich beispielsweise für Ressourcen wie Kohle und Öl
statt für erneuerbare Energiequellen wie Wind oder Erdwärme entscheiden. Wer so
agiert, löst den Klimawandel aus, die Naturkatastrophen häufen sich: Vulkanausbrüche, Stürme,
Überschwemmungen an Flüssen, Dürren. Und so erschlagen
zerbrechende Eisberge dann Forscherinnen und Forscher.
Naturkatastrophen und Erderwärmung als
wichtiges Gameplay-Element, das klingt in der Theorie vielleicht erst einmal
erzieherisch. Und vielleicht für den ein oder anderen damit auch: langweilig. Für
treue Spieler der Civilization-Reihe bringt die Erweiterung aber
durchaus komplexe Herausforderungen. Die Gamerinnen müssen nicht nur herausfinden, wie sie
in ihrer eigenen Zivilisation gegen andere siegen, sondern auch, wie sie
den Planeten retten können. Sid Meier’s Civilization VI: Gathering Storm bildet
insofern die schwierigen Entscheidungen der Menschheit noch vollständiger ab
als seine Vorgänger, indem es die Natur als mächtigste Gegenspielerin einführt.
Das fordert heraus, das unterhält, und vor allem: Das tut weh in seiner
Konsequenz.
Die Nachbarn sind egal
Zu Beginn können Spielerinnen wählen, mit
welcher Intensität die Naturkatastrophen auftreten sollen. In der höchsten
Stufe erlebt eine kleine Zivilisation schon in der Antike die ersten
Vulkanausbrüche, Dürreperioden und Überschwemmungen. “Erlebt”, das bedeutet in
diesem Fall, dass eine Beraterin aus dem Off immer wieder erzählt, dass gerade
irgendwo ein Vulkan ausbricht, ein Fluss über die Ufer tritt oder ein Sturm die
Gegend zerstört. Während die Spielerin vielleicht nach den ersten Meldungen
noch interessiert auf die Karte guckt und beobachtet, wie angrenzende
Bevölkerungen unter den Katastrophen leiden, dürfte sie aber spätestens nach
der fünften Nachricht alle Unwetter und sonstigen Desaster nur noch wegklicken.
Die Naturkatastrophen fühlen sich seltsam entfernt an, sie betreffen die eigene
Zivilisation schließlich nicht. Dieses Gefühl bleibt selbst dann bestehen, wenn
die Zerstörung in einem angrenzenden Land, in der Nachbarschaft geschieht.
Ehrlicherweise ist das zwar eine zynische,
aber durchaus realistische Darstellung. Naturkatastrophen wie die schweren
Schneestürme in den USA diesen Winter sind in den Medien kaum noch mehr als
eine kurze Meldung wert. Kennt man schließlich schon alles, ist alles irgendwo bereits mal passiert. Solange nicht gerade in Deutschland ein Fluss über die Ufer
tritt oder besonders viele Menschen irgendwo betroffen sind, schert man sich
nicht unbedingt unmittelbar um das Leben und Leiden anderer auf dieser Erde. Genauso fühlen sich
die Zufallsereignisse in Civilization VI: Gathering Storm an:
irrelevant, wenn sie nicht gerade die eigene Zivilisation bedrohen. Ob das
so gewollt ist oder ob allein schon dieses Element zum Nachdenken anregen soll,
ist schwer zu sagen.
Während die Naturkatastrophen in dem Spiel noch das Gefühl von Zufall vermitteln, so erinnert das Game schon früh
an die kommenden Klimaeffekte durch die Erderwärmung. Je nachdem, welchen
Gouverneur oder welche Gouverneurin jemand für seine Stadt wählt, kann sie
erneuerbare Ressourcen besser oder schlechter nutzen. Mit Gouverneur Pingala
erhält man zum Beispiel Produktionsboni auf nukleares Wettrüsten, unter seiner
Kollegin Reyna bringen Gebäude wie Windfarmen oder hydroelektrische Dämme hingegen
mehr Energie und mehr Gold. Während also die Zivilisation des Spielers noch in
der Antike auf Holzkarren durch die Wüste fährt, darf er sich schon überlegen,
an welcher Küste er später Windräder bauen könnte.
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