DIE ZEIT:
Herr von Blomberg, ich habe über Sie in der
Süddeutschen Zeitung
eine wunderbare
Beschreibung gelesen: “Er fiel bisher dadurch auf, dass er kaum jemanden von außen grüßt,
scheu in ausgeleierten Klamotten in der Ecke steht und eine profunde Arroganz verströmt, die
vielleicht auch Unsicherheit ist.” Wie lange sind Sie jetzt schon in der Schweiz?
Benjamin von Blomberg:
Seit September letzten Jahres …
ZEIT:
… Sie haben sich ja schon total in Zürich assimiliert! Noch bevor Sie im Sommer die
Intendanz des Schauspielhauses übernehmen.
Nicolas Stemann:
So würden Sie also einen Schweizer beschreiben?
Von Blomberg:
Würde mich ja interessieren, ob alle Schweizer dächten, sie würden da auf eine treffende
und sympathische Weise beschrieben. Ganz davon zu schweigen, ob sie sich selbst so sehen.
Wahrscheinlich würden sie sich fragen: Wieso sagt das jemand über uns?
Stemann:
Ich erlebe die Schweizer völlig anders. Es mag sein, dass es an einem bestimmten Punkt eine
gewisse Schüchternheit gibt, die vielleicht verhindert, dass man sofort langjährige
Freundschaften schließt. Im Alltag komme ich aber sehr schnell mit Leuten ins Gespräch. Ich
erlebe eine große Offenheit, Umgänglichkeit und Verbindlichkeit. Übrigens ist das von Ihnen
zitierte Bild eines, das nur wenige von Benjamin von Blomberg haben.
Von Blomberg:
Da hat sich offensichtlich jemand zurückgewiesen gefühlt. Das Zitat stand zu einem
Zeitpunkt in der
Süddeutschen,
als die auf Teufel komm raus böse Sachen über uns
schreiben wollten. Das kommt leider vor. Das hat tatsächlich nichts mit mir zu tun. Was die
Schweizer angeht: Wenn ich auf öffentlichen Anlässen bin und die Leute nicht wissen, mit wem
sie es zu tun haben …
ZEIT:
Man kennt Sie in Zürich nicht außerhalb der theateraffinen Kreise?
Von Blomberg:
Nee! Ich bin da also um Menschen, und man kennt sich nicht, da gibt es jene, die ergreifen
die Flucht nach vorne und sagen “Hallo!”, egal zu wem, und bauen Brücken. Und es gibt die
Menschen, die erst mal bei sich bleiben, in ihren Gruppen und abwarten. Die meisten
Schweizerinnen und Schweizer beobachten erst einmal und nehmen zur Kenntnis, würde ich
sagen.
ZEIT:
Wie bereitet man sich als Regisseur und Dramaturg eigentlich auf einen Job in einem anderen
Land vor?
Stemann:
Ich beginne erst allmählich zu verstehen, was es bedeutet, mit einer vierköpfigen Familie
aus einer schönen und einigermaßen bezahlbaren Altbauwohnung in Berlin in die
Immobilienhölle Zürich zu ziehen. Zu schauen, dass man die Betreuung der Kinder irgendwie
organisiert kriegt, weil beide Eltern arbeiten – diesbezüglich ist es nicht nur leicht, hier
anzukommen.
ZEIT:
Sie wollen das Schauspielhaus zu einem Ort machen, der lokal verankert und international
vernetzt ist. Der Slogan klingt gut. Aber wie füllt man den, wenn man von außen kommt?
Von Blomberg:
Damit das Schauspielhaus als eine Bereicherung für Zürich empfunden wird, können wir zwei
Dinge tun: aufregendes Theater machen mit Menschen, die sich in dieser Stadt ansiedeln, sie
verstehen und herausfordern wollen. Und uns jetzt schon mit vielen Menschen und Akteuren
dieser Stadt verbinden. Das heißt, nicht so zu tun, als wären wir die Einzigen, die die
Frage zu beantworten versuchen, wie man heute in Zürich Kultur gestaltet. Es geht erst
einmal ums Zuhören. Verstehen, was schon da ist und was fehlt.
Stemann:
Wenn wir “wir” sagen, meinen wir mehr als nur uns beide. Da gibt es noch sieben andere
Künstlerinnen und Künstler, die im Moment irgendwo auf der Welt verankert sind und hier
hinziehen werden. Und mit ihnen ein knapp 40-köpfiges Ensemble! Alle wollen nur eins: sich
der Stadt vorstellen und hier lebendiges Theater machen.
ZEIT:
Ich habe am Anschlagbrett beim Eingang gesehen, dass Sie, Herr von Blomberg, jeden
Mitarbeiter persönlich kennenlernen wollen, und zwar in alphabetischer Reihenfolge.
Von Blomberg:
Stimmt! Und das wird natürlich dauern, bis es geschafft ist: Ich bin immer noch bei A, und
es sind 350 Mitarbeitende! Ein ähnliches Ding habe ich gerade außerhalb des Schauspielhauses
angezettelt: Ich möchte möglichst viele Zürcherinnen und Zürcher kennenlernen. Bei jenen,
die ästhetisch und kulturell ähnlich sozialisiert sind wie wir, ist das einfach. Aber ich
will raus aus meiner Blase. Deswegen treffe ich Menschen und bitte sie, mir die Namen von
zwei weiteren Menschen zu nennen, von denen sie finden, dass ich sie unbedingt kennenlernen
sollte. Das sind so ziemlich die schönsten Treffen, die ich gerade habe.
Stemann:
Die Frage ist doch: Wie sehr will man raus aus der Parallelgesellschaft? Ich arbeite ja
schon eine Weile an der Zürcher Hochschule der Künste. Das ist erst mal eine deutsche
bubble.
Sowohl von den Lehrenden als auch von den Studierenden her. Wenn da mal
ein Schweizer ist, dann fällt der auf! Trotzdem erlebe ich überhaupt keine
Deutschenfeindlichkeit in der Stadt. Und das bisschen, das man manchmal als unfreundlichen
Unterton mitbekommt, dafür habe ich großes Verständnis. Wenn ich mir vorstelle, dass es in
Deutschland eine Gruppe gäbe, die auf einmal alle Führungspositionen in der Stadt besetzte,
in der ich lebe, und die auf den Straßen derart sicht- und hörbar wäre, das würde nicht zu
einem unfreundlichen Zwischenton führen, sondern zu einem Massenmord, einem Pogrom, einem
Weltkrieg.
ZEIT:
Okay.
Stemann:
Was ich sagen will: Ich empfinde die Schweizer als sehr offen, menschenfreundlich und
international.
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