/Elterntaxis: Eltern brauchen Druck von der Rückbank

Elterntaxis: Eltern brauchen Druck von der Rückbank

Mal ruft ein Schulleiter an, mal ein Bürgermeister, mal ein
Elternvertreter. Und oft sagen sie: “Wir haben hier ein unlösbares Problem.”
Jens Leven heißt der Mann, der am anderen Ende der Leitung sitzt – und im Idealfall doch eine Lösung findet für
das “unlösbare Problem”. Sein Thema sind die sogenannten Elterntaxis.
Leven ist Bauingenieur mit Schwerpunkt Verkehrsplanung. Sein Büro für Forschung, Entwicklung und Evaluation
berät bundesweit Kommunen, Schulen oder
die Polizei.

Inzwischen erscheinen jede Woche neue Artikel zu den Elterntaxis in der
Lokalpresse
. In Hamburg,  München und Berlin
genauso wie in Siegen, der Oberpfalz oder in Halle an der Saale. Statt
zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Bus zur Schule zu kommen, werden die
Kinder von ihren Eltern mit dem Auto bis vors Tor gefahren. Mütter und
Väter halten mitten auf der Straße, behindern den Verkehrsfluss, wenden
plötzlich und bringen so Kinder in Gefahr. Das stellte auch eine Studie
der Bergischen Universität Wuppertal im Auftrag des ADAC fest.

Hamburg
hat deshalb gerade Aktionswochen gestartet. Vor zehn Schulen
warten Elternräte und Polizeiverkehrslehrer auf die Väter und Mütter.
Sie reden mit ihnen, fragen sie nach den Motiven, die Kinder mit dem
Auto zu bringen, und bitten sie, wenn möglich, die Kinder zu Fuß zur
Schule zu schicken. In Hannover sind Schülerinnen und Schüler selbst auf die
Straße gegangen, um für einen sicheren Schulweg zu demonstrieren.
Anderswo führen Polizei und Ordnungsämter Kontrollen durch und verteilen Strafzettel.
Die sogenannten Elterntaxis sind politisch geworden, sie werden vielerorts in den Stadträten
diskutiert.

Weite Wege, Zeitdruck, Wetter, Zeitdruck, Faulheit …

Die Frage ist, warum ist es gerade jetzt so präsent? Und was hilft? Seit acht Jahren
beschäftigt sich Leven auch wissenschaftlich mit dem
Elterntaxiphänomen. Er hat einen Lehrauftrag zur Mobilität an der
Hochschule RheinMain. Neu sei es zwar nicht, sagt er. Aber das Problem sei in
einem schleichenden Prozess größer geworden. Etwa ein Drittel der
Schüler käme heute bei mäßiger Witterung regelmäßig mit dem Auto zur
Grundschule. Das zeigen die von Levens Büro bundesweit erhobenen Mobilitätsdaten von über 100 Grundschulen. Gründe für die Zunahme der
Elterntaxis gebe es viele: freie Schulwahl und damit längere
Schulwege, Zeitdruck in den Familien, das Wetter, Faulheit.
“Manchmal ist auch Prestigedenken dabei. Dann möchte man vielleicht
seinen neuen SUV vor der Schule präsentieren. Für viel beschäftigte
Eltern wiederum ist die Fahrt im Auto vielleicht die einzige gemeinsame
Zeit mit ihren Kindern”, erläutert Leven.

Leven hat im Rahmen einer
ADAC-Studie empirische Untersuchungen zu den Motiven ausgewertet und
daraufhin Eltern in drei Gruppen eingeteilt. In der ersten Gruppe finden
sich die sportlich-pragmatischen Eltern, die ihre Kinder “nur mal eben
rausschmeißen” wollten. Diese Eltern finden es einfach praktisch, ihre
Kinder zur Schule zu bringen, weil sie vielleicht sowieso dort
vorbeifahren. In der zweiten Gruppe begründeten Eltern die Fahrt zur
Schule mit der Angst vor Verkehrsunfällen. Der Schulweg sei zu unsicher. Eine
dritte Gruppe wiederum belaste die Angst, dass ihre Kinder auf dem
Schulweg belästigt oder überfallen werden könnten.

Wie kann man also
die verschiedenen Elterngruppen in der Praxis umstimmen? Fast jeden Tag
ist Leven an einer anderen Schule irgendwo in Deutschland, um
Schulleitern oder Verwaltungsmitarbeitern zu helfen. An 50 Schulen
arbeitet er momentan gleichzeitig. Je größer die Schule, desto größer
sei auch das Problem, sagt er. Drei von vier Schulen ab einer Größe von
200 Schülerinnen und Schülern seien betroffen, hatte eine repräsentative
Befragung an Grundschulen von Levens Büro im Jahr 2013 ergeben.
Seither wiesen viele Projekterfahrungen auf ähnliche Probleme in
praktisch allen Bundesländern hin, sagt Leven.

An den Schulen fragt
er zunächst nach, was sie schon versucht haben. Leven sagt, meist würden
zunächst Briefe an Eltern verschickt, dann Schilder,
schließlich Parkverbote aufgestellt, das Ordnungsamt gerufen und im
letzten Schritt dann die Polizei. Er sagt allerdings: “Appelle und
Sanktionen allein bewirken nichts. Sich vor der Schule zu streiten, bringt auch nichts. Wir sollten lernen
uns als Verkehrsplaner diesem Phänomen anders zu stellen.”

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