Zehn Tage bis zum ungeordneten Brexit – und Theresa May ändert noch einmal ihre Strategie. Nach einer siebenstündigen Sitzung mit ihrem Kabinett hat die britische Regierungschefin am Dienstagabend angekündigt, bei der EU eine kurze Verlängerung der Austrittsfrist beantragen zu wollen. Außerdem will sie das Gespräch mit der oppositionellen Labour-Partei suchen, um einen ungeordneten Austritt am 12. April doch noch zu verhindern.
Das Kabinettstreffen hatte ihr wohl gezeigt, dass es unter ihren Ministern und den Abgeordneten der
Konservativen Partei zum Brexit keine Einigung geben wird. Dem Vernehmen nach waren sogar 14 Kabinettsmitglieder gegen
eine erneute Verlängerung der Frist nach dem 12. April, also im Prinzip für
einen No-Deal-Austritt. Nur zehn der Anwesenden folgten ihr. Der Blick von May
fällt damit notwendigerweise auf die Opposition.
Mit ihrer eigenen Partei alleine kommt die Regierungschefin nicht weiter: Ein
Drittel der konservativen Parlamentarier sind ideologische
Ultra-Brexit-Anhänger, die immer noch von einem Austritt ohne Vertrag träumen und sich auf
keinen Kompromiss einlassen wollen – “selbst wenn man mir die Pistole in den Mund
hält”, wie es einer von ihnen vor dem Parlament formulierte. Die EU-Anhänger unter den Tories sind ebenfalls nicht bereit, das Abkommen von May zu akzeptieren. Drei Mal hat sie auf dieser Grundlage mit ihrem Deal im
Parlament verloren. Es muss also eine andere Lösung her. Vorschläge
gibt es genug, sowohl von Labour als auch vom rebellierenden Parlament.
Misstrauen gegen die politische Erklärung
May hat mit der EU
den rechtlich bindenden Austrittsvertrag ausgehandelt, der im Prinzip die
Vergangenheit betrifft, die britischen Schulden bei der EU
begleicht, die Rechte der Bürger klärt und die Notsituation der irischen Grenze
behandelt. Dieser Vertrag ist fest formuliert, er kann nicht geändert werden.
Wie es
in Zukunft zwischen Großbritannien und der EU weitergeht, welche Art
Handelsabkommen beide Seiten vereinbaren werden, steht allerdings in einer eher vage
formulierten politischen Erklärung. Hier setzt das Misstrauen der moderaten Abgeordneten ein: Sie fürchten, dass der Brexit
ein Freifahrtschein für die Hardliner in der Tory-Partei sein könnte, später Handelsbeziehung
durchzudrücken, die den Briten zwar ihre
“Souveränität” wieder geben, die aber wirtschaftlich schädlich sein könnte und
Probleme für die irischen Grenze aufwerfen würde.
Die
rebellierenden Abgeordneten im Unterhaus unter Führung des Konservativen Oliver Letwin haben in den vergangenen Tagen daher Alternativen für einen eher weichen Brexit formuliert. Auch am Mittwoch soll es wieder eine Debatte um
eine mögliche Zollunion oder eine Kombination von Zollunion und Binnenmarkt geben. Oppositionsführer Jeremy Corbyn selbst hatte
ebenfalls eine Zollunion mit der EU vorgeschlagen. All
diese Modelle (Norwegen, Zollunion, Europäische Freihandelsassoziation plus Zollunion) sind aber keine Alternative zu dem bereits
ausgehandelten Austrittsvertrag. Sie alle
basieren darauf, dass Großbritannien zunächst einmal – mit dem Austrittsvertrag
– die EU verlässt.
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