/Organspende: “Die Widerspruchslösung ist keine Organabgabepflicht”

Organspende: “Die Widerspruchslösung ist keine Organabgabepflicht”

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat seinen Gesetzentwurf zur Organspende gegen Kritik verteidigt. “Die Widerspruchslösung ist keine Organabgabepflicht”, sagte Spahn. Sie sei aber eine Verpflichtung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Zwar liege die Spendenbereitschaft in Deutschland bei über 80 Prozent – die Zahl derer, die wirklich einen Organspendeausweis hätten, sei aber weit geringer. Das zeige, dass sämtliche Aufklärungsmaßnahmen der vergangenen Jahre nicht funktioniert hätten.

Der Entwurf wird von SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach, dem CSU-Gesundheitspolitiker Georg Nüßlein und Petra Sitte (Linke) mitgetragen. Lauterbach begründete den Vorstoß mit der geringen Zahl an Spendern. Jedes Jahr würden etwa 2.000 Menschen sterben, weil es kein Organ für sie gebe.

Die sogenannte Widerspruchslösung sieht vor, dass alle deutschen Staatsbürger ab 16 Jahren über den Zeitraum von einem Jahr ausführlich
informiert und schließlich als Spender registriert werden – außer sie widersprechen.
Die Entscheidung soll jederzeit revidiert werden können. Liegt kein Widerspruch vor, sollen Angehörige nach dem Versterben eines möglichen Spenders zudem gefragt werden, ob der Tote einer Organentnahme zugestimmt hat.

Lauterbach sagte, die Lösung sei unbürokratisch, ethisch unbedenklich, effizient und aufgrund des doppelten Widerspruchs sicher. “Es ist weiter völlig okay, nicht zu spenden”, sagte er. Wer nicht spenden wolle, müsse das aber künftig erklären. Das sei der neue ethische Standard. “Mit einer kleinen Pflicht schaffe ich großen Nutzen für die Gesellschaft.”

“Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen”, sagte der CSU-Abgeordnete Nüßlein. Sitte sprach von einem “solidarischen Akt” gegenüber den Mitmenschen. Vollzogen werde dieser
erst in der Sterbephase – “während des Ablebens”. In 20 von 28
EU-Staaten gelte bereits eine Widerspruchslösung, sagte Spahn.

Kritiker sehen Freiwilligkeit der Spendenbereitschaft in Gefahr

Die Deutsche
Stiftung Patientenschutz warnte vor der Aufgabe des Prinzips der
Freiwilligkeit. Von Spende könne keine Rede mehr sein, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. “Jede Organspende ist eine freiwillige Entscheidung.” Die
Widerspruchslösung setze aber darauf, dass die meisten sich nicht mit
der Frage beschäftigen und schweigen. “Schweigen heißt aber nicht
Zustimmung”, sagte Brysch. Es sei ethisch besonders wertvoll, einem
anderen Menschen sein Organ zu schenken. “Doch dieses Geschenk ist nicht
mit der Brechstange zu erzwingen.”

Eine andere
parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten wirbt für eine verbindliche
regelmäßige Befragung der Bürgerinnen und Bürger und ein bundesweites Onlineregister. “Wir wollen die Organspende nach dem Tod als eine
bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten und stärken, die nicht
durch den Staat erzwungen werden darf”, teilten die Politikerinnen und Politiker um Grünen-Chefin Annalena Baerbock mit. Die Widerspruchslösung wecke
Ängste und senke das Vertrauen in die Organspende.

Die Zahl der verfügbaren Spenderorgane reicht seit Jahren nicht aus. In Deutschland standen zuletzt 9.400 Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten für eine Organtransplantation. Erstmals seit 2010 war die Zahl der Organspender im vergangenen Jahr wieder gestiegen. 955 Menschen spendeten nach ihrem Tod ihre Organe für schwerkranke Patienten. Im Vergleich zu 2017 ist das eine Steigerung von knapp 20 Prozent. Erwartet wird, dass der Bundestag ergebnisoffen und ohne Fraktionszwang über die Neuregelung zur Organspende abstimmen wird.

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