Deutschrap, deine Slogans: Nach Fick mein
Gehirn (Fishmob, 1995), Scheiß auf die Staatsanwaltschaft (Kollegah, 2005)
und Brüder über Poloreiter (Gzuz, 2015) sind wir inzwischen bei Schmeck mein
Blut angekommen. Es geht also aufwärts, dank Ebru Düzgün alias Ebow aus Wien.
Die Rapperin und zertifizierte Architektin beendet ihr neues Album K4L mit
einem Mission Statement der geöffneten Augen und Schleusen. In mindestens vier
Sprachen und ebenso vielen Dialekten krönt sie sich zur neuen Sissi ihrer Heimatstadt, fordert Unterwerfung durch Oralsex und verspricht den Nazis in ihren Timelines “Beef
mit den Habibtis”. Grußwort zum Schluss: “Ertrink in meiner Flut.”
Düzgün gilt seit einigen Jahren als
Hoffnungsträgerin einer im weitesten Sinne deutschsprachigen Rapmusik, die sich
nicht an Feuilletonschreiber wendet, aber all das überwindet, was
Feuilletonschreiber an im weitesten Sinne deutschsprachiger Rapmusik stört. Sie
textet politisch korrekt und grammatisch unkorrekt über Frauenverachtung in ihrer
Szene und Fremdenverachtung in ihrem Land. Vor zwei Jahren schrieb sie den Song Asyl über die sogenannte Flüchtlingskrise – und nahm noch im selben Stück
vorweg, was den Geflüchteten nach ihrer Ankunft im wilden Westen blühen würde.
Merkels Waffenkatalog wollte sie schon wälzen, als es noch gar keinen Krieg im
Jemen gab.
K4L zeigt als drittes Album von Ebow,
dass die Rapperin nicht nur ein Gefühl für weltpolitische Zusammenhänge hat,
sondern auch für den Moment, der ihr bevorsteht. Die Platte gilt als
szeneninternes Ereignis, dem schon im vergangenen Jahr immer mehr Geschichten über
Düzgün in immer größeren Medien vorausgegangen waren. Was für eine schöne Verzögerungstaktik
also, dass K4L mit dem dreiminütigen Eren (Skit) beginnt, einem
von Düzgüns Cousin auf Zazaki intonierten Gedicht. Dazu erklingen allerlei
Zupf- und Schrammelinstrumente. Rap und Bass und all das folgen erst im zweiten
Stück.
So wie Zazaki nicht der kurdische Dialekt
ist, für den die Sprache immer wieder gehalten wird, ist aber auch Eren
(Skit) nicht das Hinhaltestück, das es auf den ersten Blick zu sein
scheint. Düzgün rückt ihre biologischen und selbstgewählten Familien in den
Fokus, ihre kurdischen Vorfahren und heutigen Weggefährtinnen in Wien. Beide
sind wichtig auf K4L. Der Titel des Albums steht für “Kanak for Life” – Düzgün beschwört damit das Selbstbewusstsein und den Zusammenhalt ihrer eigenen
Leute. Auf beiden Seiten der Lieblingsgrenze von Markus Söder und Sebastian Kurz bläst diesen Leuten der Wind derzeit so stark wie lange nicht ins Gesicht.
Ebows Antwort: Sie schmeißt eine Party.
Die Rapperin ist in München aufgewachsen,
aber durch die Gnade der späten Geburt um eine Sozialisierung in der dortigen
Studi-VZ-Rapszene herumgekommen. Nette Wortspielschlaubis wie Blumentopf
galten lange Zeit als prägender Beitrag der Stadt zum Deutschrap-Boom der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre. Düzgün konnte sich darin nicht wiederfinden.
Lieber orientierte sie sich an der neu definierten Weltmusik von M.I.A. und
verinnerlichte deren oberstes Gebot: Kampf- und Protestlieder über das
verkorkste Weltgeschehen sind gut und schön. Radikal werden sie erst, wenn man
auch dazu tanzen kann.
Ein weiteres Thema von K4L ist
deshalb die Frage der richtigen Zudröhnung. Vor allem im R-‘n’-B-lastigen
Mittelteil der Platte geht es darum, was man alles einwerfen und welche Musik
man dabei hören sollte, wen man dazu küsst, welche Probleme mit Realitätsverlust
und Eifersucht sich daraus ergeben könnten und was letztlich übrig bleibt von
der Nacht. (Spoiler-Warnung: ein “Hangover in Hannover”.) Die Songs, die Düzgün
mit ihrem Kollaborateur Walter P99 Arke$tra geschrieben hat, wären noch vor
wenigen Jahren als Cloud-Rap durchgegangen. Heute freut man sich vor allem darüber,
dass schon in der benebelten Produktion von K4L eine Absicherung gegen
allzu große Ernsthaftigkeit steckt.
Denn hart ist das Album schon: eine
Standortbestimmung für Künstlerin und Community, die bereits in der Abbildung
des alltäglichen Miteinanders große Wirkmacht entwickelt, darüber hinaus aber
auch ein explizites Gegeneinander formuliert. K4L grenzt sich ab von den
Mehrheitsgesellschaften in Düzgüns Heimatländern, weil sich deren Reaktionen
auf ihr Schaffen ohnehin meist in Feindseligkeit oder Fetischisierung erschöpfen.
Man kann sich mit dieser Platte ganz wunderbar gegen Erdoğans Türkei verbrüdern
– und wenig später ertappt fühlen, wenn Hengameh (Skit) an “alle Almans
und Cis-Heten” rausgeht, “die sich migrantische, nicht-weiße und queere Ästhetiken
aneignen”.
“Ihr begehrt uns, aber ihr respektiert uns
nicht”, lautet die Schlüsselzeile des kurzen Zwischenstücks. Eingesprochen
wurde es von Hengameh Yaghoobifarah. Sie und Fatma Aydemir haben
gerade den Sammelband Eure Heimat ist unser Albtraum herausgegeben: wenn man so will, das Sachbuch des antideutschen Frühlings. K4L als zugehörige
Tonspur zu bezeichnen, würde die Absichten des Albums verkürzt wiedergeben.
Gemeinsam aber haben beide Projekte den Angriff auf jahrzehntelang eingeübte, häufig
rassistische Verhaltensmuster im deutschen Umgang mit Migrantinnen,
Gastarbeitern und weiteren marginalisierten Gruppen – und die Absage an
kuschelige Annäherung oder gar Aussöhnung.
Bei Ebow heißt der Feind jedoch nicht nur
Jan Fleischhauer, sondern auch Bastian Sick. Die gerade erwähnte Absage steckt
ebenso in der Bedeutung von Düzgüns Texten wie im Sound ihrer Sprache. Diese
ist offen für außerdeutsche Umwege, sie missachtet jede denkbare Syntaxregel
und demonstriert ein erfrischendes Desinteresse an sauberen Endreimen und
sonstigen Formalitäten. Stattdessen bricht Düzgün ihre Aussagen auf Schlüssel-,
Schlag- und Stichwortketten herunter, deren Effekt schwindelerregend, in seiner
Kernbotschaft aber auch politisch ist. Allen Hoffnungen auf baldige Besserung
entgegnet K4L: Wir sprechen nicht einmal dieselbe Sprache. Da hilft nur
zuhören und dazulernen.
“K4L” von Ebow ist erschienen bei
Problembär/Rough Trade.
Hits: 24