Die einen sind auf der Suche nach dem Ursprung ihrer Familiengeschichte.
Einige treibt die Neugier, herauszufinden, wer ihre Vorfahren waren. Und andere wären gerne
adelig. “Manche wollen damit Ansprüche auf Schlösser und Ländereien stellen”, sagt Johann Hammer. Der 59-jährige Ahnenforscher spürt Stammbäumen hinterher, wühlt sich durch Archive und
fördert dabei Geheimnisse zutage, die man vielleicht gar nicht wissen wollte.
Eva Wildberger etwa, die eigentlich anders heißt, begann auf eigene Faust die Geschichte ihrer Familie zu erforschen, und stieß bis zum Urururgroßvater vor: Franz Wildberger, Schneidermeister, geboren im Jahr 1838 im oberösterreichischen Sierning. Weiter kam sie nicht. Hatte der Mann Geschwister? Wer waren seine Eltern? Wo lebten sie, und was machten sie beruflich? Eva Wildberger wollte mehr erfahren und engagierte Johann Hammer.
Acht bis zehn Stunden am Tag sitzt der in seinem holzvertäfelten Arbeitszimmer in einem Gemeindebau in Wien Ottakring und arbeitet die Aufträge ab. Im Schnitt drei Anfragen bekommt er täglich, gerade hat eine Frau aus der Steiermark geschrieben. Sie möchte ihrer Mutter zum 70. Geburtstag einen Familienstammbaum schenken. Kurz davor meldete sich eine Kärntnerin: “Meine Mutter ist im Heim aufgewachsen. Sie kennt ihre leiblichen Eltern nicht. Mein Herzenswunsch ist es, endlich zu wissen, wer meine Oma und mein Opa waren. Können Sie mir dabei helfen?”
Hammers Arbeit ist mühsam und akribisch. Wenn er lange Listen mit Namen durchgeht, muss er jeden genau lesen. Kein Hinweis darf durchrutschen. Wenn er über seine Arbeit spricht, passt er penibel auf, kein Detail zu vergessen. Seine Erzählungen werden so oft zu langen Geschichten, mit vielen Namen, Jahreszahlen, Berufen und Orten.
Woher kommt die Sehnsucht von immer mehr Menschen nach der eigenen Familiengeschichte? “Manche meinen, ihre eigene Identität besser zu verstehen, wenn sie wissen, wer ihre Vorfahren sind und wie sie lebten”, sagt Hammer.
Das Geschäft brummt seit Jahren. Genealogie-Websites gehören zu den meistbesuchten Seiten im Internet. Wie viele Menschen es sind, die quer durch die Jahrhunderte nach Verwandten suchen, lässt sich nicht beziffern. Früher war die Ahnenforschung verpönt. Doch dank des Internets erlebte sie jetzt einen Boom. Mittlerweile gibt es genealogische Vereine, viele Privatforscher und immer mehr professionelle Anbieter wie Hammer.
“Im Moment leben hierzulande nur wenige Kollegen hauptberuflich von der Ahnenforschung, aber das Angebot wächst ständig”, sagt Hammer. “Manche spezialisieren sich auf Bundesländer, andere auf Adelsgeschlechter oder die Geschichte von Bauernhöfen.” Hammer erstellt Stammbäume, untersucht die Geschichte von Unternehmen, macht sich auf die Suche nach verschollenen Verwandten.
Zu seinen Kunden gehören Familien aus der Gegend um Chicago, die mehr über ihre Vorfahren aus dem Burgenland oder aus Galizien erfahren möchten, und Israelis, deren Vorfahren während der Nazizeit vertrieben, deportiert oder ermordet wurden.
Derzeit arbeitet Hammer für eine amerikanische Anwaltskanzlei. Für sie hat er die Wiener Verwandten der 2009 verstorbenen US-Fotografin Vivian Maier aufgespürt. Maier wurde mit ihrer Straßenfotografie erst posthum berühmt, über ihr Leben ist wenig bekannt. Über die Nutzung ihrer Bilder, die Hobbyfotografin verstarb ohne ein Testament, gibt es einen Rechtsstreit. Hammer soll nun seine Erkenntnisse vor einem US-Gericht vortragen.
Nicht alles, was der Ahnenforscher herausfindet, ist schmeichelhaft. Manche Ahnen seiner Kunden waren Diebe, Mörder oder Vergewaltiger. Einige wurden an den Pranger gestellt, manche hingerichtet. Andere waren begeisterte Nazis und Mitglieder der SS. “Das Verhältnis zwischen mir und meinen Kunden kann man deshalb ein wenig mit dem von Arzt und Patient vergleichen: Diskretion ist oberstes Gebot.”
Für eine erste Recherche verlangt Hammer 500 Euro. Fünf Stunden nimmt er sich dafür Zeit, jede weitere Arbeitsstunde kostet 100 Euro.
In den USA bieten Unternehmen an, die ethnischen Wurzeln und die geografische Heimat über eine Haarwurzel bestimmen zu können. Dabei ließe sich detailliert aufschlüsseln, wie viele irische, syrische, chinesische oder andere Wurzeln in ihnen stecken. Wie die eigenen Vorfahren heißen, wo sie lebten und welchen Beruf sie ausübten, können solche Tests aber nicht verraten. Dafür müssen sich Interessenten durch alte Pfarrbücher, Katastereinträge, Musterungslisten, Zeitungen oder Strafregister wühlen. “Das ist eine Sisyphusarbeit, die meist zermürbend ist und ergebnislos endet, wenn man keine Erfahrung hat”, sagt Johann Hammer.
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