Der Mann am Telefon ist Bayers gefährlichster Gegner. “Eins ist sicher:
Wir werden diesen Konzern über Monate hinweg mit Prozessen überziehen”, sagt Michael J. Miller. “Und wir werden viele Siege sehen!”
Der Rechtsanwalt aus dem idyllischen Provinzstädtchen Orange in Virginia, zwei Autostunden von Washington, D. C., entfernt, kämpft für Hunderte seiner Landsleute. Für jeden von ihnen will er mehrere Millionen Dollar erstreiten. Der graubärtige Mann ist der Pionier einer brandneuen Boombranche in den USA: Bayer verklagen. Wenn man dort eine Zeitung aufschlägt oder den Fernseher einschaltet, kann man sich vor aggressiver Werbung für Miller und andere Anwälte kaum retten. “Krebswarnung!” steht da auf Englisch in grellen Lettern in den Werbeblöcken. “Ihnen könnte Schadensersatz zustehen. RUFEN SIE JETZT AN”.
Bayer hat vor einem halben Jahr die Übernahme des amerikanischen Pflanzenschutzherstellers Monsanto abgeschlossen – und steckt seither in einem unerwartet heftigen Kampf vor den Gerichten. Der Konzern wird von Menschen verklagt, die behaupten, Monsanto-Produkte hätten bei ihnen Krebs ausgelöst. Bayer bestreitet das: Roundup löse bei sachgerechtem Einsatz keinen Krebs aus. Doch die Anwälte hatten schon bis Ende Januar in den USA 11.200 Kläger gefunden. Bayer drohen Kosten in Milliardenhöhe. Der Kurs der Bayer-Aktie ist seit der Übernahme um 40 Prozent gefallen, was aus Sicht der Anleger eine gigantische Kapitalvernichtung ist. Die Übernahme bedroht die Zukunft des Konzerns.
Doch in der Zentrale von Bayer, im rheinischen Leverkusen, erzählt man am Montagnachmittag diese Geschichte ganz anders. “Ja, die Prozesse in Amerika beschäftigen uns selbstverständlich, unsere Aktie ist von den Verfahren massiv belastet”, sagt Liam Condon. Der 51-Jährige ist im Vorstand der Herr über sämtliche Pflanzenschutzaktivitäten im Bayer-Konzern. Er sieht keinen Grund für Pessimismus, im Gegenteil.
“Ich bin sehr erfreut darüber, wie gut die Integration von Monsanto angelaufen ist”, sagt er, “wir sind schon weiter als ursprünglich geplant.” Das Vorstandsmitglied spricht also so, als sei dies eine ganz normale Übernahme gewesen. Er referiert darüber, wie viel man “an Synergien heben” werde, wenn Bayer und Monsanto gemeinsame Sache machten, wenn man Geschäftsbereiche zusammenlegen und Stellen streichen könne. Er kommt auf 870 Millionen Euro Ersparnisse bis 2022.
Doch die panikartige Reaktion der Börsianer spricht dagegen, dass dies eine normale Übernahme ist. Bayer hat 66 Milliarden Dollar ausgegeben, der größte Zukauf eines deutschen Konzerns aller Zeiten, und zwar für eine der umstrittensten Firmen der Welt. Der 1901 gegründete Pflanzenschutz-, Saatgut- und Gentechnikkonzern Monsanto hat in seiner Firmengeschichte viele Umwelt- und Gesundheitsskandale erlebt. Seit einigen Jahren steht er besonders wegen des Unkrautvernichters Roundup, der die Chemikalie Glyphosat enthält, unter Druck. Und jetzt mehr denn je durch entfesselte Anwälte wie Miller.
Börse gegen Bayer, so heißt es jetzt. Stimmt die Sichtweise skeptischer Anleger, nach der das Leverkusener Management vom Größenwahn gepackt ist? Dass es die Klagerisiken dramatisch unterschätzt? Oder sagen Condon und sein Chef, der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann, zu Recht, dass die Schwierigkeiten bloß vorübergehend seien? Dass die Monsanto-Übernahme einen hochprofitablen Agrarchemie-Konzern entstehen lassen werde?
Baumann und sein Vorstand sind nicht die Einzigen in der Agrarchemie, die in diesen Tagen groß denken. Die ganze Branche wird umgebaut. Im Jahr 2017 gingen die Konkurrenten Dow und DuPont zusammen, im selben Jahr wurde der Schweizer Konzern Syngenta von ChemChina übernommen. Aus vier Bayer-Konkurrenten wurden also zwei. “Bayer allein wäre zu klein gewesen”, sagt Markus Manns, Portfoliomanager bei Union Investment, einem der 15 größten Eigner des Konzerns.
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