Auf seine Weise war Tim Burton schon immer mehr
Zirkusdirektor als Filmregisseur. Sein Name steht für ein Kino des
Fantastischen, das sein Publikum ins Staunen bringen will. Und tatsächlich
agieren Schauspieler wie Johnny Depp in seinen Filmen wie Artisten beim
Hochseilakt: den menschlichen Dimensionen entrückt, aber unter vollem
Körpereinsatz. Doch die Zirkusaffinität ist nicht der einzige Grund, weshalb
Burton als Idealbesetzung erscheint, um Disneys Animationsklassiker von 1941
über einen Zirkuselefanten namens Dumbo neu zu verfilmen: Seine Realverfilmung von Alice im Wunderland hatte 2010
die neue Welle der Disney-Remakes erst richtig in Schwung gebracht.
Das Konzept dieser Live-Action oder fotorealistischen Neuverfilmungen von Rennern aus der
Zeichentrick-Ära erscheint zwar ausgesprochen dünn und beschränkt auf die
Marketingstrategie zur wiederholten Ausbeutung der guten Ideen von früher.
Nichtsdestotrotz war es im Fall von Alice im Wunderland mit einem weltweiten
Einspielergebnis von mehr als einer Milliarde Dollar so erfolgreich, dass Disney
unter anderem mit Cinderella und Die Schöne und das
Biest nachzog. In diesem Jahr machen sich gar drei Titel gegenseitig
Konkurrenz: Auf den nun startenden Dumbo wird bereits im Mai Guy Ritchies Realversion von Aladdin folgen und im Juli läuft dann Jon Favreaus König der Löwen an.
Was Disney mit diesen Neuverfilmungen unter anderem
ausbeutet, ist eine kollektiv empfundene Nostalgie – erstaunlicherweise sogar nach Filmen,
die wie Dumbo anliefen, bevor die Mehrheit der
heutigen Kinobesucher überhaupt geboren wurde. Da passt es gut, dass Tim Burton seinen Dumbo in höchst nostalgischer Stimmung beginnen lässt: Ein
Zirkuszug rollt da durch die von Nachkriegskargheit geprägten
Südstaaten der USA. Land und Leute, besonders aber der Zirkus selbst, haben
schon bessere Zeiten gesehen. Davon zeugen nicht zuletzt die völlig
verblichenen Werbebemalungen der Waggons, die den Zauber der Magier, Artisten
und Dompteure in Varianten des Unglaublichen beschwören. Zum Halt
gekommen, erweisen sich die Zirkusleute als ein sympathischer und diverser
Haufen, der unter dem keineswegs strengen Regiment seines exzentrischen
Direktors Max Medici (Danny DeVito) steht. So desolat die Lage scheint – die
Mehrheit der Tiere musste verkauft werden –, ist das Vertrauen des rundlichen
kleinen Manns in die nächste gute Idee, die nächste erfolgreiche Nummer, die
den Zirkus sanieren könnte, ungebrochen.
In das provisorische Lager dieses Idealisten kehrt mit dem
Weltkriegsveteranen Holt Farrier (Colin Farrell) dann ein Stück harter
Wirklichkeit zurück. Farrier hat im Krieg seinen rechten Arm verloren, und der
verschämte Blick auf den Stumpf lässt nicht nur seinen Kindern bei der
Begrüßung das Lächeln im Gesicht gefrieren. Als Dressurreiter war Farrier einst
der Star des Zirkus – nun muss er froh sein, dass Direktor Medici ihm die
Elefanten anvertraut. Unter Turbulenzen kommt dort kurz darauf ein
Elefantenbaby zur Welt – dessen Anblick noch mehr Entsetzen und Enttäuschung
auslöst als Farriers fehlender Arm: Der Kleine ist ein Freak mit übergroßen
Ohren! Eigentlich auf “Jumbo Jr.” getauft, wird aus ihm noch während
seines ersten Zirkusauftritts Dumbo, abgeleitet vom englischen dumb für “dumm”, weil ihn das erbarmungslose Publikum für seine Plumpheit auslacht. Doch im Geheimen nehmen Farriers Kinder, die altkluge
Millie (Nico Parker) und der
einfühlsame Joe (Finley Hobbins), den Elefantenjungen unter ihre Fittiche – und
entdecken prompt, dass Dumbo mit seinen Ohren tatsächlich fliegen kann.
Abweichungen vom Original-Plot
Sehr viel mehr noch als etwa das neue Dschungelbuch weicht Dumbo vom Plot des Originals ab. Es ist sogar beinahe umgekehrt: Elemente des alten Films tauchen nur noch als
Anspielungen im neuen auf. Wie damals erweist sich die Trennung von der Mutter
als tragischer Anstoß, und Dumbo wird zunächst als Lachnummer im Zirkus
vorgeführt. Auch die berühmte Sequenz, in der Dumbo im Originalfilm nach
versehentlichem Alkoholgenuss rosa Elefanten tanzen sieht, wird
aufgenommen, funktioniert aber bezeichnender Weise diesmal ohne
Drogeneinfluss.
Doch wo das Original vollständig unter animierten Tieren spielte,
mit der Maus Timothy als zweiter Hauptfigur, verschiebt die Realverfilmung die
eigentliche Dramatik auf die menschlichen Charaktere. Wobei die Kinder Mollie
und Joe lediglich als Chiffren in der Erzählung dienen: süß und vorhersagbar in
ihren Reaktionen. Auch wenn man willkommen heißt, dass es die Tochter
sein darf, die ganz zeitgemäß die harte Wissenschaft den Zirkus-Kunststücken vorzieht.
Burtons
wahres Interesse gilt sichtlich den erwachsenen Figuren – was in einem
Disney-Film dieser Art so irritierend wie ungewöhnlich scheint. Er rückt etwa Colin Farrells gescheiterten Dressurreiter Holt Farrier in den Fokus, als
vom Schicksal gedemütigten Mann, der nicht resignieren will. Farrell verkörpert
ihn mit der bescheiden-melancholischen Aura eines Vaters, der statt in
Selbstmitleid zu versinken seine Empathie für andere, den “Freak”
Dumbo eingeschlossen, entdeckt.
Die wahre Hauptfigur des neuen Dumbo ist indes Danny DeVitos Zirkusdirektor: ein Mann mit vielen Gesichtern, ein Clown, ein
Trickster, ein Fantast, schwankend zwischen Kunst und Kommerz, von
kapitalistischen Zwängen gebeutelt, empfänglich für Bestechungen aller
Art. DeVito füllt ihn mit so viel Vitalität und Wandlungsreichtum aus, dass man
über so manche Drehbuchinkonsequenz hinwegschaut. Zumal ihm mit Michael Keatons
V. A. Vandevere ein formidabler Bösewicht gegenübersteht, der so eigenwillig
wie grotesk auftritt und im Grunde mehr wie eine Zeichentrickfigur agiert als
seine fotorealistisch kreierten Mitspieler.
Mit Keatons Figur kommt noch eine weitere Ebene in den
Film: Vandervere ist der erfolgreiche Vergnügungsparkunternehmer, dessen Dreamland unschwer als Metapher für all die Disneylands
zu lesen ist, die zirkushafte Unterhaltung professionalisiert und
kommerzialisiert haben. Wenn Dumbo und seine Mitstreiter schließlich gegen
Vandevere und dessen finsteren Machenschaften des Massenvergnügens rebellieren,
dann feiert der Film gewissermaßen den Widerstand gegen seinen eigenen
Übervater. Er tut dies aber mit so viel Wehmut und Melancholie – unterstrichen
von den einmal mehr dräuenden Kompositionen des Burton-Komponisten Danny Elfman
–, dass die Kritik daran nie wirklich beißend oder gar wirksam würde.
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