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Julia Reda: Sie hat schon gewonnen

“Julia, Julia, Julia!” skandieren
Hunderte von Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Brandenburger Tor, als
Julia Reda am Samstag die kleine Bühne betritt. 32 Jahre alt, einzige
Abgeordnete der Piratenpartei im Europäischen Parlament, letzte deutsche
Piratin in einem Parlament. Manche Abgeordnete werden nicht einmal in ihrem
Wahlkreis auf der Straße erkannt. Reda kennt hier, auf dem Höhepunkt der Proteste
gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform in Berlin
, fast jeder.

Als
“Jeanne d’Arc des Internets” hat ihr Vorredner sie bezeichnet. Als David, der
gegen die Goliaths kämpft. Für die Demonstranten ist Reda ihre Frau in Brüssel.
Sie ist das Gesicht der Bewegung gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform. Es
ist ein Thema, das sie selbst gewählt hat. Über Jahre hat sie die
Öffentlichkeit immer und immer wieder über den aktuellen Stand der jeweiligen
Verhandlungsrunde informiert, hat die Versionen der Richtlinie auf ihrem Blog
dokumentiert, hat ihren knapp 75.000 Followerinnen und Followern auf
Twitter berichtet, hat sich vor die Fernsehkameras gestellt und ihre Position
erklärt.

Sie
warnt, dass die
Richtlinie das Internet, wie man es jetzt kenne, grundlegend verändern werde.

Dass die derzeitige Gesetzesformulierung in Artikel 13 (in der finalen Version Artikel
17) Uploadfilter zur Folge haben werde und die nicht nur teuer seien, sondern
auch fehleranfällig. Dass die Plattformen künftig haftbar seien und das Gesetz
daher eher übereifrig befolgen würden. Dass dies Einschränkungen für die
Redefreiheit bedeute. Dass
das Internet wieder mehr wie Kabelfernsehen würde.

Sie hat schon gewonnen

Reda
hat mit diesen Ansichten Mitstreiter gefunden,
unter Jugendlichen, YouTubern, Netzaktivisten. Mittlerweile haben fünf
Millionen Menschen eine Petition gegen die Reform unterschrieben, am
vergangenen Samstag gingen rund 100.000 Menschen in ganz Deutschland auf die
Straße. Egal, wie die Abstimmung über das EU-Urheberrecht im Europäischen Parlament am
Dienstag ausgeht, man könnte sagen, Julia Reda hat sie eigentlich schon gewonnen. Weil sie es
überhaupt nur möglich erschienen ließ, dass die Richtlinie noch kippen könne.

Das
ist bemerkenswert. Nicht nur weil die Piratenpolitikerin so viele Menschen
für ein eher dröges Thema wie das Urheberrecht mobilisiert hat, sondern auch,
weil sie für eine Partei im EU-Parlament sitzt, die längst wieder in der
Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Doch Julia Redas Geschichte ist nicht nur
die eines Erfolges. Es ist auch die einer Enttäuschung.

Julia Reda, 1986 in Bonn geboren, trat mit 16 Jahren in die SPD ein, konnte sich aber
nicht mit deren Position zu Netzsperren anfreunden und wechselte 2009 zur
Piratenpartei. Damals war das nicht ungewöhnlich, viele internetaffine Menschen
suchten in dieser Zeit, enttäuscht von der Netzpolitik anderer Parteien, eine
neue politische Heimat. Die Piraten zogen in einen Landtag nach dem anderen
ein: Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen.
Sie galten als die nächsten Grünen, als eine Partei, die ein Thema aufgreift,
das andere Parteien vernachlässigen, den Wählerinnen und Wählern aber immer
wichtiger wird.

Die
Piraten prägten politische Netzdebatten. Eine ihrer großen Schlachten war die
gegen das geplante Handelsabkommen Acta. Offiziell sollte es Produktpiraterie
und Urheberrechtsverletzungen bekämpfen, doch Kritikerinnen und Kritiker
fürchteten Eingriffe in die Privatsphäre.

Vor
fast zehn Jahren habe sie schon einmal hier gestanden und gegen Acta
demonstriert, sagt Reda in ihrer Rede am Brandenburger Tor. Auch damals habe
man gegen den Versuch demonstriert, Urheberrecht im Digitalen zu regeln. Auch
damals habe es nicht gut ausgesehen, doch man habe nicht aufgegeben. Und so
habe man Acta gestoppt. Damals waren ebenfalls Zehntausende auf die Straßen gegangen. Mit
Erfolg: Erst weigerten sich Deutschland und andere EU-Länder, das Abkommen zu
unterzeichnen, später wurde es im EU-Parlament ganz gekippt. “Das war der
Moment, in dem ich dachte: Ich gehe selbst in die Politik”, sagt Reda. Die
Menschen vor der Bühne applaudieren.

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