Sein “Kalifat” ist zerschlagen, doch der Verbleib von IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi bleibt ein Rätsel. Versteckt er sich mit seinen letzten
Kämpfern in der syrischen Wüste, ist er im Irak untergetaucht oder
längst tot? Auch nach der Einnahme der letzten Bastion der
Dschihadistenmiliz “Islamischer Staat” (IS) im Osten Syriens ist
al-Bagdadis Schicksal ungeklärt. Die USA haben umgerechnet 22 Millionen Euro auf seine Festnahme ausgesetzt.
Der
47-Jährige erscheint mehr denn je als Phantom. Soweit bekannt, war sein
einziger Auftritt in der Öffentlichkeit Anfang Juli 2014. Damals forderte er von der
Kanzel der Al-Nuri-Moschee im nordirakischen Mossul aus den Gehorsam aller Muslime gegenüber seinem “Kalifat” in Syrien und
dem Irak ein.
Seitdem veröffentlichte seine Gruppe in
unregelmäßigen Abständen Audiobotschaften, die von al-Bagdadi stammen
sollen. Doch wurde der Iraker, der an Diabetes leidet, nicht wieder in
der Öffentlichkeit gesehen. Mehrfach wurde er bereits für tot erklärt,
mindestens einmal wurde er verletzt.
“Er ist nur von drei Menschen
umgeben: seinem älteren Bruder Dschumua, seinem Fahrer und Leibwächter
Abdellatif al-Dschuburi, den er seit seiner Kindheit kennt, und seinem
Kurier Saud al-Kurdi”, sagt der Dschihadismus-Experte Hischam
al-Haschemi. Er vermutet die vier in der weitläufigen Badia-Wüste im
Zentrum Syriens. Dort sei im vergangenen Juli auch al-Bagdadis Sohn
Hudhaifa al-Badri in einer Höhle von drei russischen Raketen getötet
worden.
Der Sprecher der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF),
die den Kampf gegen die Dschihadisten im Osten Syriens anführten, glaubt
dagegen nicht, dass der IS-Führer noch im Land ist. Sie hätten “keine
Informationen über die Präsenz al-Bagdadis in Syrien”, sagt Mustefa Bali. Aber einige, die aus der letzten IS-Bastion in Baghus flohen,
gaben an, sie seien dazu von al-Bagdadi aufgefordert worden.
Er wollte Anwalt werden
Geboren
wurde al-Bagdadi 1971 als Sohn einer armen Familie im zentralirakischen
Samarra unter dem Namen Ibrahim Awad al-Badri. Als Junge begeisterte er
sich für Fußball und träumte davon, Anwalt oder Soldat zu werden, doch
seine mangelhaften Noten und seine schlechten Augen verhinderten beides.
So studierte er schließlich in Bagdad Theologie, bevor er nach der
US-Invasion 2003 als Anführer einer Dschihadistengruppe in den
Untergrund ging.
Die Journalistin Sofia Amara, die einen
Dokumentarfilm über ihn gedreht hat, sagt, er mache nicht den Eindruck
eines “brillanten Manns”, sondern erscheine eher als “geduldig und
arbeitsam”. So habe er schon früh “eine sehr klare
Vorstellung” von der Organisation gehabt, die er schaffen wollte. Als er
2004 im Februar von den Amerikanern im Gefängnis von Bucca inhaftiert
wurde, knüpfte er dafür wichtige Kontakte.
Das Gefängnis im
Südirak galt als “Universität des Dschihad”, da dort radikale Islamisten
mit Militär- und Geheimdienstleuten des gestürzten Baath-Regimes von
Saddam Hussein zusammenkamen. “Alle haben gemerkt, dass dieser
schüchterne Typ ein feiner Stratege ist”, sagt Amara über al-Bagdadis
Zeit in Bucca.
Als er im Dezember 2004 aus Mangel an Beweisen
freikam, schloss er sich dem Al-Kaida-Führer Abu Mussab al-Sarkawi an.
Als erst al-Sarkawi und dann sein Nachfolger getötet wurden, übernahm
der einstige Theologiestudent aus Samarra 2010 unter dem Namen Abu Bakr
al-Bagdadi die Führung der Extremisten im Irak.
Indem er frühere
Offiziere Saddam Husseins anwarb, machte er aus seiner Guerillagruppe
eine schlagkräftige Truppe und nannte sie Islamischer Staat (IS). Sie
überrannte im Sommer 2014 die nordirakische Großstadt Mossul und drang
binnen weniger Wochen bis vor Bagdad vor.
Doch mit Gräueltaten und
blutigen Anschlägen brachte er viele Iraker und Syrer sowie die
internationale Gemeinschaft gegen sich auf. In den vergangenen Jahren
folgte eine Niederlage auf die andere, und nach dem Verlust des letzten
Dorfs in Ostsyrien bleiben dem IS-Führer nur noch einige versprengte
Zellen.
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