/Serbischer Fußball: “Hooligans führen die Vereine”

Serbischer Fußball: “Hooligans führen die Vereine”

Niko Petrovic ist Journalist, Experte für Sicherheit und Innenpolitik. Viele Jahre hat er sich mit Gewalt und Hooliganismus im serbischen Fußball beschäftigt. Sein Name ist ein Pseudonym, sein echter Name der Redaktion bekannt.

ZEIT ONLINE: Herr Petrovic, hat der serbische Fußball ein Hooliganproblem?

Niko Petrovic: Er hat ein riesiges Problem mit Hooligans. Wir sind leider in der Situation, dass Hooligans die Vereine praktisch führen. Das begann alles Ende der Achtziger-, Mitte der Neunzigerjahre, als der Kriminelle Željko Ražnatović, Spitzname Arkan, die Fans von Roter Stern Belgrad vereint hat. Die Übernahme der Kurve durch Kriminelle wurde durch Arkan aufgebaut.

ZEIT ONLINE: Was bedeutet das konkret?

Petrovic: Die Anführer von organisierten Fangruppen haben innerhalb der Clubführung von Fußballvereinen große Macht. Die Leute sind eng verbunden mit dem politischen Establishment, egal, welche Partei gerade an der Macht ist. Es kommt nicht selten vor, dass diese Anführer Ohrfeigen an Spieler oder Funktionäre verteilen, dass sie bestimmen, wer aufgestellt wird und wer nicht. Die Leute in den Vereinen haben Angst vor ihnen, weil sie mit ihrer Macht innerhalb der Fanszene in der Lage sind, jederzeit größere Ausschreitungen zu inszenieren, die für die Vereine Strafen nach sich ziehen. Wir hatten vor acht, neun Jahren die Situation, dass die Uefa Serbien aus allen internationalen Wettbewerben ausschließen wollte. Platini, der damalige Chef der Uefa, war zweimal in Belgrad, um mit führenden Politikern über das serbische Hooliganproblem zu reden, die Hooligans aber waren mächtiger als die Sicherheitsorgane.

ZEIT ONLINE: Könnten Gesetze helfen?

Petrovic: Wir haben seit 2003 ein neues Sicherheitsgesetz in Serbien, eines der besten und härtesten in Europa, um die Gewalt in und um den Fußball zu bekämpfen, aber es funktioniert nicht, weil es nicht angewendet wird. Die Polizei verhaftet Hooligans, seitens der Polizei und von Privatpersonen werden Anzeigen erstattet, aber vor Gericht wird das alles verschlampt. Die Staatsanwaltschaft stellt die Verfahren ein oder stuft die Vergehen als geringfügig ab. Und so passiert es, dass es gegen einen Anführer der Hooligans 80 Anzeigen gibt und dieser Mann geht frei in der Stadt spazieren. Obwohl ein Haftbefehl existiert, reist er ins Ausland und winkt in Belgrader Cafés seinen Anhängern zu. Es gab in Belgrad einen Staatsanwalt, einen Ankläger, der versucht hat, etwas zu ändern. Er war bei jedem großen Match im Stadion, die Polizei hat ihm Beweise geliefert, er hat Verfahren eingeleitet, bei der nächsten Wahl zur Staatsanwaltschaft wurde er nicht wiedergewählt. 

ZEIT ONLINE: Wie sind die Belgrader Fangruppierungen einzuschätzen?

Petrovic: Als
Arkan die Fankurve bei Roter Stern übernahm, vermischten sich die
Interessen zwischen den Fans und der einheimischen Mafia. Es ging um
Drogenhandel und die Übernahme der Security bei den Vereinen. Seit Mitte
der Neunziger waren viele Belgrader Schiffsrestaurants und
Clubhausboote ein Mekka für den Drogenhandel. Dort bekam nur einen Job
als Security, wer Mitglied von Delije (Oberbegriff für alle Fans von Roter Stern Belgrad, sinngemäß Helden, die Redaktion) oder Grobari (Oberbegriff für alle Fans von Partizan Belgrad, sinngemäß Totengräber, die Redaktion)
war. Das ist heute auch noch so. Die Securityjobs bestimmen diese Typen
– und sie bestimmen, wer in die Clubs und Discos kommen darf, um dort
seine Drogen zu verkaufen. Das ist eine Riesengeschäft mit
Millionenumsätzen. Vor einigen Monaten wollte der Inhaber einer dieser
Clubs am Saveufer die Security nicht akzeptieren und eigene Leute
aufstellen. Daraufhin wurde öffentlichkeitswirksam sein Club demoliert.
Nicht nur auf den Flüssen, auch die Security in der Stadt ist fest in
den Händen krimineller Hooligangruppen.

ZEIT ONLINE: Arkan wurde am 15. Januar 2000 ermordet. Ist der Mord aufgeklärt?

Petrovic: Nein. Die unmittelbaren Täter wurden verurteilt, die Auftraggeber konnten im Prozess gegen die Täter nicht ermittelt werden. 

ZEIT ONLINE: Wir waren auf dem Belgrader Hauptfriedhof irritiert über die Größe von Arkans Grabstätte.

Petrovic: Er ist in Serbien nie verurteilt worden. Für die serbischen Gerichte ist er unschuldig. Jede Familie mit viel Geld kann ein Grab bestellen, so groß sie es will.  

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