Ein einziges Wort könnte einen Bundesbürger in der Türkei für mehr als vier Jahre ins Gefängnis bringen. Am Donnerstag beginnt in Istanbul ein Strafprozess gegen Aret Demirci, Projektkoordinator bei der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. „Für die Freiheit“ nennt sich die FDP-nahe Stiftung im Beinamen, sie engagiert sich mit Angeboten zur politischen Bildung in mehr als 60 Ländern der Welt. Demirci ist Deutscher türkisch-armenischer Herkunft und verfasst Analysen über Entwicklungen in der Türkei. Wie es da um die Freiheit bestellt ist, musste der 37-Jährige am eigenen Leib erfahren, als er im vergangenen Sommer auf seinem privaten Twitter-Konto einen Tweet an seine 200 Follower absetzte.
„Äußerungen, die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, können in der Türkei zu berufsbeschränkenden Maßnahmen und Strafverfahren führen“, warnt das Auswärtige Amt in Berlin in den kürzlich aktualisierten Reisehinweisen für die Türkei. Der Fall des Naumann-Mitarbeiters illustriert die Kluft zwischen den Rechtsauffassungen beider Länder.
Demircis Schwierigkeiten begannen am Tag vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei. Er ärgerte sich darüber, dass die meisten Fernsehsender des Landes eine Großveranstaltung der Opposition zum Wahlkampfabschluss ignorierten, über einen Auftritt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan aber ausführlich berichteten – und setzte einen Tweet ab, in dem das Wort „Ober-Gauner“ vorkam. Schon in der nächsten Nacht klingelten Zivilpolizisten an Demircis Tür und holten ihn ab. Um halb vier Uhr morgens wurde der Naumann-Mitarbeiter in eine Zelle im Keller des Polizeihauptquartiers gesperrt. Die Polizisten dort seien „sehr aggressiv“ gewesen, erinnert sich Demirci. Ein Beamter habe ihm einen „Schubser“ verpasst, bevor er ihn in seine Zelle brachte. Ein Haftrichter setzte Demirci unter Auflagen frei: Er musste sich regelmäßig bei der Polizei melden und durfte die Türkei nicht verlassen.
Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr lange nichts davon, die Naumann-Stiftung entschied sich, nicht an die Presse zu gehen. Die deutschen Stiftungen sind unter Druck in der Türkei: Regierungsnahe Medien werfen ihnen vor, sie seien in Komplotte zum Umsturz des türkischen Regimes verwickelt. Mitarbeiter des Goethe-Instituts und deutsche Diplomaten werden wegen ihrer Kontakte mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft verdächtigt – Mitschnitte ihrer Telefonate und Fotos ihrer Treffen tauchten in der Anklageschrift gegen den Kunstmäzen Osman Kavala auf, dem wegen der Gezi-Proteste von 2013 der Prozess gemacht wird.
Demirci will für sein Recht auf freie Meinungsäußerung kämpfen
Für Aret Demirci waren es quälende Monate. Unterdessen setzte sich die Bundesregierung in Gesprächen mit der türkischen Führung für ihn ein. Möglicherweise wegen dieser Bemühungen wurde die Ausreisesperre vor wenigen Wochen aufgehoben. Dennoch hat sich Demirci entschlossen, die Türkei nicht zu verlassen, sondern vor Gericht für sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu kämpfen. Er wolle vor dem Richter unterstreichen, dass seine Äußerung eine „Kritik im demokratischen Sinne“ gewesen sei und eben keine Beleidigung des Präsidenten.
Ob er damit Gehör findet, ist unsicher. Die türkische Regierung hat die Grenzen der Meinungsfreiheit immer enger gezogen. Kritiker werfen der Führung in Ankara vor, unter dem Vorwand, den Präsidenten vor Beleidigungen schützen zu wollen, gegen jede Art von Dissens vorzugehen. Demirci muss also der Möglichkeit ins Auge sehen, dass er verurteilt wird. Seine Frau sei deshalb dafür, die Türkei zu verlassen, sagt er. Auch mit Blick auf die Zukunft sei sie skeptisch, ob es klug sei, auszuharren. Dennoch bleibt Demirci vorerst in Istanbul.
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