In ihrem Song Heaven kürten die Talking Heads das Nichtereignis zum paradiesischen Moment: “Heaven,
heaven is a place, a place where nothing, nothing ever happens. It’s hard to
imagine that nothing at all could be so exciting, could be so much fun.” An diesen
Zeilen dürfte auch Philippe Garnier Gefallen finden, schließlich trägt ein Kapitel
in seinem Essay Lob der Lauheit den
Titel Letzte Refrains. Auch in der
Struktur von Liedern spürt der französische Autor und Herausgeber dem “mittleren
Wert” nach, bei dem ihm zufolge jegliche Radikalität auf Grund läuft. Der
Refrain sei ein solcher “neutraler Punkt”: Die Zuverlässigkeit, mit der er
wiederkehre, beruhige und besänftige den lauen Menschen.
Die Lauheit stellt Garnier als einen habituellen Modus vor, als
eine spezifische Praxis des Fühlens, Schauens und Genießens. Gemeint ist ein Denken, das jeglichen Exzess vermeidet: Es gilt weder warm noch
kalt zu duschen, weder zu schreien noch zu murmeln. Damit ist Garniers Lauheit
eine Einladung an alle Sowohl-als-Auchler; an jene, die im Fitnessstudio die Hanteln
weglegen, sobald sie anfangen zu schwitzen, an alle Aprikosenbiertrinker, deren
Getränk herb, aber bitte auch ein bisschen süß schmecken soll. Das Ziel besteht
darin, dem lauen Menschen als Sozialtypus eine Kontur zu verpassen. Ihm will Garnier
ein Gründungsdokument schenken: “Niemals überrascht sein: politisches,
ästhetisches, ethisches Programm.”
Geschrieben in der verkorkten Maisonettewohnung
An vielen Stellen ist der Essay dadurch zum Knigge
für ästhetisierte Dösbaddel geworden, für die Trotter, Lümmler, Rumgucker und
Trödler dieser Welt. Diesen Mattherzigen bietet Garnier auf 60 Seiten ein
eigenwilliges Inventar an. Dazu zählt er unter anderem das Taschentuch
(“eine Sache, die mit der Waffe in der Hand verteidigt werden muss”), den
Teppichboden (“als die Fußsohlen noch staunen konnten über solche Hingabe”),
das gemächliche Kauen (der “Endpunkt eines ganzen Lebens”) sowie die
Waschmaschine (“führt uns eine Strapaze vor, die hübsch anzusehen ist”).
Teilweise
klingt das, als habe der Autor seinen Text auf parfümiertes Briefpapier
geschrieben, in einem Zimmer, dessen Wände mit Korkplatten abgedichtet sind, in
einer Pariser Maisonettewohnung, die über Dienstbotenzimmer verfügt. Garnier schreibt
Satzwolke um Satzwolke, lässt genüsslich vorgetragene Sentenzen auf wattig
eingepackte Pointen folgen. Der Stil soll dem Wesen der Lauheit entsprechen:
ein wenig benennen, ein wenig vernebeln, dabei bloß nicht unwirsch klingen. Aber
der Sound trägt durchaus über die kurze Spanne, gerade weil der Autor hemmungslos
aristokratisch daherredet.
Bei näherer Betrachtung ist der Essay aber aus einem anderen Grund
lesenswert: Die eigenwillige Möblierung lauen Lebens, wie Garnier sie vornimmt,
ist als polithabituelle Positionierung zu verstehen. Den vielen
intellektualisierten Ratgebern dazu, wie denn nun heute zu denken und zu
handeln sei, fügt er ein zusätzliches Angebot hinzu. Die einen lassen sich Get
Up auf den Unterarm tätowieren, die anderen treten den Rückzug in die wohltemperierte
Wohnung an. Wer will, frönt der subversiven
Affirmation. Oder kombiniert Effizienz
und Altruismus.
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