Wenn Hubertus Heil in diesen Tagen Interviews gibt, zeigt sich der sonst oft versöhnlich auftretende SPD-Mann beharrlich – und vor allem kompromisslos: “Es ist höchste Zeit, dass wir eine Grundrente bekommen, die diesen Namen auch verdient”, betont der Arbeits- und Sozialminister immer wieder. Er lächelt dann freundlich in die Kamera, gibt sich in der Sache aber unbeirrt. Man dürfe die im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrente nicht auf den “Sankt-Nimmerleins-Tag” verschieben, mahnt er. Und an die Unionsparteien appelliert er, dass die Koalition gemeinsam liefern müsse: “Wir dürfen die Menschen nicht enttäuschen.”
Nachzugeben, wie die SPD es bei strittigen Themen wie etwa beim Familiennachzug schon manchmal getan hat – das schließt Heil bei der Grundrente kategorisch aus. Einwände aus den Reihen der Union, die anders als Heil an der Bedürftigkeitsprüfung festhalten will, lässt er nicht gelten – auch weil er glaubt, mit seinem Vorhaben einen Nerv in der Bevölkerung getroffen zu haben. Die Warnung von CDU und CSU, wonach dann auch die Zahnarztgattin Zuschüsse finanziert bekomme, lässt er nicht gelten. Der Respekt vor der Lebensleistung gebiete es, auf die entwürdigende Selbstoffenbarung vor dem Amt zu verzichten.
In Umfragen jedenfalls erhält Heil breite Zustimmung für die Idee einer „Respekt-Rente“, die jahrzehntelanges Arbeiten im Alter belohnt. Dass er wenige Monate vor vier wichtigen Landtagswahlen Tempo macht, dürfte auch kein Zufall sein. Wegen der niedrigen Löhne könnten im Osten viele Menschen von der neuen Rente profitieren. Und ein überzeugendes Gerechtigkeitsthema kann die SPD vor den Wahlen gut brauchen – ebenso wie den Beleg dafür, dass sie tatsächlich liefern kann.
Hubertus Heil muss jedenfalls hohe Erwartungen erfüllen. Für den Herbst dieses Jahres hat seine Partei die Überprüfung des Koalitionsvertrages auf die Tagesordnung gesetzt. Dann will die SPD entscheiden, ob sich das Weiterregieren in der großen Koalition lohnt. Wie diese Zwischenbilanz ausfällt, hängt zu einem beträchtlichen Teil davon ab, welche Erfolge Heil vorweisen kann. Schließlich ist der 46-jährige Arbeits- und Sozialminister für die sozialdemokratischen Herzensthemen zuständig. Wenn es anders läuft, als Heil es sich vorstellt, liefert der Widerstand der Union gegen sein Grundrenten-Konzept allerdings den GroKo-Gegnern in der SPD das entscheidende Argument zum Ausstieg aus der Regierung.
Gerhard Schröder als Vorbild
Heil musste einen weiten Weg gehen, bevor er zum Vorkämpfer einer teuren Ausweitung sozialstaatlicher Versorgung avancierte. Denn der Niedersachse gehörte Ende der 90er-Jahre zu den Mitbegründern des “Netzwerks Berlin”. Der Zusammenschluss junger Abgeordneter, die sich als progressiv und pragmatisch verstanden, gehörte wenig später zu den entschiedensten Verteidigern der Sozialstaatsreformen des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Netzwerk-Sprecherin Ute Vogt verkündete damals forsch den Abschied vom allzu fürsorglichen „Vaterstaat“. Heil selbst forderte noch kurz vor seiner Wahl zum SPD-Generalsekretär im Herbst 2005 in einem programmatischen Aufsatz (“Operation Morgenröte”), eine “neue SPD” müsse leisten, “was Schröder erst im Wahlkampf gegen Ende seiner Amtszeit vermochte: die soziale Idee der Reformpolitik zu vermitteln”.
Von der Reformpolitik des damaligen Kanzlers hat sich die SPD nun abgewandt. Sie verspricht, älteren Menschen länger das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld I zu zahlen und den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben. Während der Koalitionsverhandlungen mit der Union hatte die SPD bei der Grundrente noch nicht den Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung gefordert, die sie nun beschlossen hat und die auch Heil Mantra-artig verteidigt. Über Fragen nach der Finanzierung der neuen Leistung geht er ebenso forsch hinweg wie Finanzminister Olaf Scholz, der die neuen Pläne für bezahlbar erklärt, ohne irgendeine Berechnung vorzulegen. “Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ein überzeugter Verfechter der Agenda 2010 heute die Revision der Schröderschen Sozialstaatsreform mitbetreibt”, urteilt ein Experte für Sozialpolitik, der den Aufstieg Heils über die Jahre genau beobachtet hat.
Als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion war Heil in der Oppositionszeit 2009 bis 2013 für Sozialpolitik zuständig, die nächste Legislaturperiode dann für Wirtschaftspolitik sowie Bildung und Forschung. Damals reklamierte er es auch als eigene Leistung, dass die SPD als einzige Fraktion Vorschläge für Industriepolitik erarbeite, die von den Unternehmen auch ernst genommen würden.
Die Bestellung zum Arbeitsminister im März vergangenen Jahres war dann jedoch keineswegs ein Selbstläufer, denn Heil verband zu dieser Zeit mit der damals noch designierten Parteichefin Andrea Nahles kein gewachsenes Vertrauensverhältnis. Erst als klar wurde, dass die amtierende Arbeitsministerin Katarina Barley ins Justizministerin wechseln und der ebenfalls aus Niedersachsen stammende Matthias Miersch nicht Umweltminister werden würde, war der Weg für den Ex-Generalsekretär frei. Der hatte sich zuvor oft in den Dienst seiner Partei gestellt, ohne dafür mit einem Ministerposten belohnt zu werden.
Zu Beginn mal Außenseiter
Aus der Sicht wichtiger Sozialdemokraten hat sich die Ernennung Heils zum Arbeitsminister ausgezahlt. “In der Sache ist er für uns extrem wertvoll”, heißt es nun in der SPD, auch wegen der großen Unterstützung in Umfragen sei die Grundrente “ein strategisch wichtiges Thema”. Geplant ist, mit einem Gesetzentwurf aus Heils Ministerium zur Grundrente vor den drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die CDU massiv unter Druck zu setzen. Auch der linke Parteiflügel, der Heil lange eher misstrauisch beäugte, lobt nun, das Ministeramt habe den Netzwerk-Mitbegründer positiv verändert.
Zu Beginn seines politischen Engagements war der heutige Arbeitsminister ein Außenseiter. Als er mit 14 Jahren den Jusos beitrat, hielten ihn ältere Genossen für einen Spitzel der Jungen Union, weil er statt des damals üblichen Schlabberpullis ein Jackett trug. Mit 46 Jahren ist er nun zu einem Hoffnungsposten der SPD geworden, der freilich andere Ziele vertritt als zu Schröders Zeiten.
Wenn Heil heute über Sozialpolitik redet, verweist er auf seine eigene Biographie. Er erzählt dann, wie seine Mutter in den 70er-Jahren als voll Berufstätige alleine ihre zwei Söhne großziehen musste, weil der Vater die Familie verlassen hatte und keinen Unterhalt zahlte. “Ich habe selbst erlebt, was sozialer Abstieg und Aufstieg bedeutet”, sagt der Minister. Nun ist der Ex-Generalsekretär endgültig zu einem sozialdemokratischen Akteur aufgestiegen, von dem viele Genossen nicht weniger als die Rettung der SPD erwarten.
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