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Social Media: Süß, nicht wahr?

Stellen Sie sich ein Kind in einem Fotoalbum
vor. Auf manchen Bildern lächelt es, mal ist es wütend, mal schüchtern. Stellen
Sie sich vor, wie Sie dieses Kind von Seite eins an aufwachsen sehen: die
ersten Schritte, das erste Mal Strandurlaub, die Einschulung mit Riesenschulranzen
und Schultüte. Süß, nicht wahr? Und nun stellen Sie sich vor, dass das nicht
irgendein Kind ist, sondern Sie selbst. Es ist Ihre Kindheit, Ihr Fotoalbum. Aber
das steht nicht bei Oma im Schrank, sondern im Internet, wo es unzählige
Menschen gleichzeitig anschauen können. 

Nein, das soll kein Truman-Show-Experiment
sein, so hoch sind Ihre Einschaltquoten vermutlich nicht. Aber für die Kinder,
deren Eltern ihr Leben heute in sozialen Netzwerken festhalten, wird es
womöglich irgendwann einen ähnlichen Moment geben, wie ihn Jim Carrey im Film Die
Truman Show
erlebt: einen Augenblick, in dem sie realisieren, dass ihr bisheriges
Leben für eine anonyme Zuschauerschaft aufgezeichnet wurde, dass sie die Darsteller
einer Dokumentation waren, made by Mama/Papa.

Im November 2017 richtete sich das
Deutsche Kinderhilfswerk (DKW) mit einer Facebook-Kampagne unter dem Hashtag
#ErstDenkenDannPosten gezielt an Eltern, um sie für das Thema zu
sensibilisieren und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Bildern ihrer
Kinder
zu animieren. Nach Berechnungen des Vereins sind in sozialen Netzwerken Bilder
und Informationen von fast vier Millionen Kindern und Jugendlichen aus
Deutschland online
.

Manche Eltern legen in ihren Fotos zwar
einen Smiley auf die Gesichter ihrer Kinder, um deren Identität zu schützen, das
ist jedoch eher die Ausnahme. Allein unter dem deutschsprachigen Hashtag
#tochter findet man auf Instagram über 260.000 Bilder, in denen meist auf einen
Tarnsticker verzichtet wurde.

Dürfen die das eigentlich? Laut
Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention (entsprechend dem Artikel 17 des
UN-Zivilpakts) steht allen Kindern ein Recht auf Privatsphäre sowie der
Anspruch auf den Schutz vor Eingriffen oder Beeinträchtigungen ihrer Ehre und ihres
Rufes zu. Welche Rechte sie jedoch im digitalen Raum haben, ist hier bislang nicht
klar geregelt. Ein Kind kann in Deutschland rechtlich erst ab 14 Jahren von seinen Eltern
einfordern, ein Bild von sich wieder zu löschen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch, das die Sorgepflicht der Eltern regelt, heißt
es zur Mitbestimmung der Kinder: “Bei der Pflege und Erziehung
berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis
des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewussten Handeln. Sie besprechen mit
dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der
elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.”

Aber sollten Kinder überhaupt in die
sozialen Netzwerke ihrer Eltern einbezogen werden? Und wenn die Kinder dort selbst
schon unterwegs sind, etwa auf Instagram: Wie können ihre Eltern ihnen dort
begegnen, ohne dass es peinlich wirkt oder aufdringlich wird? Wie kommuniziert
man dort mit ihnen, während andere Nutzerinnen und Nutzer mitlesen? Gerade für
junge Eltern, bei denen soziale Netzwerke zum Alltag dazugehören, kann die
Sache ganz schön kompliziert werden.

Sie könne gut verstehen, dass man
stolz auf seine Kinder ist und Fotos von ihnen zeigen möchte, sagt Alice Sare
Özserin – vor allem, wenn Freunde und Familien nicht in derselben Stadt wohnten
und man sie damit am eigenen Leben teilhaben lassen könne. Die 28-Jährige, die
Gartenbauwissenschaften studiert und nebenher ihre Gartendesignfirma Botanique
Berlin aufbaut, hat ihren Account seit 2012. Da war sie 22 und gerade mit Alma schwanger.
Seitdem kann man auf Instagram auch das Leben der Tochter verfolgen. Man
erfährt, dass Alma vor ein paar Monaten sechs Jahre alt geworden ist, sieht sie und ihre
Mutter im Partnerlook auf dem Balkon oder als Blumenmädchen im Park. Belohnt
werden die Fotos mit vielen Herzchen und Smileys.

Auch ihre Tochter mache schon sehr gern Bilder, sagt
Alice Sare Özserin: “Manchmal nimmt sie einfach mein Handy, läuft durch die
Wohnung und fotografiert damit oder macht Videos.” Auch von ihr seien so einige
Fotos entstanden. “Mama jetzt lach mal”, sage Alma dann. Dass ihre Tochter sich
so gut mit dem Fotografieren auskennt, mag auch daran liegen, dass sie schon
öfter vor der Kamera stand, für das Schmuck- und Modelabel ihrer Tanten. Es sei
natürlich schwer, einem Kind zu vermitteln, was das bedeutet oder wofür die Fotos
sind, erklärt die Mutter. Aber es werde selbstverständlich darauf geachtet,
dass sie zu nichts gezwungen wird. Auch ein Foto, das Alma mit freiem Oberkörper zeigt, sei nach dem Shooting nicht ins Internet gestellt worden, um sie vor
ungewollten Blicken zu schützen. Auf dem Instagram-Account der Firma ist Alma nur
selten zu sehen – für ihren eigenen Account entscheidet Alice Sare Özserin
selbst, wer ihr folgen und Fotos der beiden betrachten darf. Privatsphäre ist
ihr wichtig.

Eine verzerrte Welt ist und bleibe es dennoch, sagt
sie: “Man zeigt meist nur die positiven Momente.” Deshalb habe sie Alma bisher auch noch nicht
erklärt, was Instagram ist. “Die Kinder und Jugendlichen heute bekommen da ein
völlig falsches Weltbild”, erklärt sie. Auch wenn sie selbst mal einen schlechten
Tag habe und sich dann anschaue, wie alle etwas Tolles unternehmen, fühle sie
sich danach noch schlechter. Als Erwachsene könne sie aber damit umgehen.

Im Gegensatz zu Alma ist die 17-jährige Laura Schlesinger alt genug für einen eigenen Instagram-Account. Die Schülerin, die
dieses Jahr ihr Abitur macht, hat einen – ihr Vater auch. Und die beiden folgen
sich, wie man an den Kommentaren bei manchen Bildern auf ihrem Profil sieht: Unter
eins, auf dem sie einen übergroßen Pullover trägt, hat Frank Schlesinger zum
Beispiel “Mein Pullover” geschrieben. Sie antwortet darauf mit einem Smiley mit
Heiligenschein.

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