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FC St. Pauli: Der FC St. Pauli hat ein Fanproblem

Es
gibt viele Gewissheiten nach dem Derby vom Sonntag, aber die schmerzhafteste,
jedenfalls für einen, der in der Kurve stand und seit mehr als zwanzig Jahren
dort steht: Der FC St. Pauli hat ein Fanproblem. Ein richtig schlimmes, richtig
großes Fanproblem, eins, das sich seit diesem Sonntag auch nicht mehr
kleinreden lässt (was in der vergangenen Jahren meist noch ganz gut geklappt
hat). Und nein, hier soll es gar nicht wieder nur um Pyrotechnik und ihre
Risiken gehen. Das, was sich Sonntag am Millerntor abspielte, rührt
tiefer, an die Grundfesten des Fanseins, daran, wie dieser Verein unterstützt
wird, werden soll, mit welcher Haltung. Und von wem.

Als
eine halbe Stunde vor Anpfiff 150 bis 200 einheitlich Vermummte in die Südkurve
hinabstiegen, sich selbst tumb beklatschend, weil andere es nicht tun wollten,
breitete sich reihum eine ungute Ahnung aus, dass dieses ewige, kitschige,
grandiose, laute Fußballtheater Derby wohl genutzt werden sollte von so
manchen, die gar nicht eingeplant waren. Was waren das für Männer, die eine Art
Keilformation am Zaun sowie treppauf einnahmen? Es waren erstmal wirklich nur
Männer, obgleich man manche auch noch Jungs hätte nennen können, die nämlich,
denen noch nichtmal Bart wuchs. Der Outdoorjackenhersteller Northface hatte,
wie selbst von weither leicht festzustellen war, gut verdient am schwarzen
Kollektiv. Und auf dem Kopf trugen sie rote Sturmhauben.

Schon
vor Anpfiff legten diese Sturmhauben los. Die HSV-Spieler wurden, als sie nach
dem Aufwärmen in die Kabine liefen, bespuckt und beworfen. Auf Pyroeinsatz in
der Gästekurve wurde mit eigenem Pyroeinsatz reagiert. Zur Halbzeit dann
Kopf-ab-Gesten gegen HSV-Kapitän Sakai, kurz nach der Halbzeit eine
Unterbrechung, weil der Südzaun im Feuer dutzender Fackeln brannte. Dass ihr
Team in dieser Phase auf den Ausgleich drängte, werden viele nicht gesehen
haben – wohl auch, weil es sie nicht allzu sehr zu interessieren schien.
Nochmal später: das Verbrennen von Transparenten, wieder Fackeln, kurz vor
Schluss auch Raketen, hoch in den Himmel und dann auf den Rasen, die Partie
wurde wieder unterbrochen, die finale Warnung von Schiedsrichter Felix Brych.
Und selbst nach dieser wieder Leuchtfeuer. Manche auf dem Zaun haben ihre rote
Haube da längst gegen eine Clownsmasken getauscht.

Eigentlich verbannt, plötzlich wieder da

Heute
wird im Fanumfeld offen spekuliert, dass sich zumindest einige der Männer aus
der umstrittenen, weil permanent gewaltbereiten Gruppe New Kids Sankt Pauli
rekrutierten, die in der Vergangenheit bereits für einige Übergriffe und
Brutalitäten verantwortlich war. Manche von den New Kids haben Stadionverbot,
andere galten eigentlich als verbannt, nach einer kurveninternen Debatte. Aber,
und das ist eine weitere Gewissheit nach dem Sonntag: Es soll gar nicht mal so
schwierig gewesen sein, vorübergehend die Eingangskontrollen zu stürmen, um ein
paar Leute in die Südkurve zu bringen, die dort nicht hätten sein dürfen.
Andere Fans der Südkurve, dem moderaten Biertrinkerspektrum zuzurechnen, berichten:
Schon an den Bierständen vor dem Stadion hätten sich etliche Männer mit roten
Sturmhauben ihren Schlachtplan zugeprostet, die Kurve zu infiltrieren, und,
O-Ton, die Mitte dichzumachen. Also den Bereich am Zaun samt Treppenflucht aus
dem Stadion.

Hätte
man das verhindern können, im Vorfeld schon? Oder ist diese Frage zu müßig,
geht sie am Problem vorbei?

Die
Südkurve wird von den Ultras Sankt Pauli (USP) mitverwaltet, den Fans, die
sich, durchaus zurecht, eine Stimmungshoheit ersungen haben, aber auch nicht
auf all den anderen Tribünen des Stadions wohlgelitten sind. USP darf 2000
Karten pro Spiel verteilen. 600 weitere Tickets gehen über den Fanladen in
Umlauf, eine geachtete Instanz der Fanszene, dessen Mitarbeiter wollen vor
allem präventiv Gewalt von jugendlichen Fans verhindern, so steht es in der
Satzung. Die Frage, wer da am Sonntag wen überrascht oder überrannt hat, führt
also direkt hinein die Streitfrage, ob das alte Millerntor, das gerne Mythos
genannt wird, überein zu bringen ist mit dem neuen Millerntor, dem Millerntor
der Ultras, die sich 2002 gegründet haben und deren Dauergesang an guten Tagen
das Stadion mitreißt, an schlechten Tagen aber am Spiel vorbeigeht und das
Stadion eher narkotisiert. Aber was, wenn selbst Ultras perplex waren am Sonntag
im Angesichts der Sturmhauben, die da neben ihnen standen?

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