/Andrea Costa: Immer hübsch freundlich

Andrea Costa: Immer hübsch freundlich

Frage: Herr Bürgermeister, Sie untersagen Ihren Mitbürgern, boshaft zu sein. Meinen Sie Ihr
Verbot ernst?

Andrea Costa:
Natürlich, mir ist es absolut ernst mit dieser Sache. Die Verordnung ist ein legitimer
Verwaltungsakt. Ich stelle seit einiger Zeit fest, dass im Hinblick auf den Umgang
miteinander alle Dämme gebrochen sind. Jede Art von verbaler, aber oft auch physischer
Aggression sind Tür und Tor geöffnet. Während die meisten Menschen bis vor einiger Zeit noch
eine innere Schranke hatten, die nicht übertreten wurde, drischt man heute einfach verbal
auf die Mitmenschen ein.

Frage: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dazu eine Verordnung zu erlassen?

Costa:
Ich denke schon einige Zeit darüber nach, weil ich gemerkt habe, dass in Italien der
Umgang miteinander immer rücksichtsloser wird. Da spielen auch die sozialen Netzwerke eine
Rolle, wo man kein echtes Gegenüber mehr hat, dem man die Dinge ins Gesicht sagt, sondern
quasi anonym agieren kann.

Frage: Was war der Auslöser für das Gesetz?

Costa:
Die Neujahrsansprache von Staatspräsident Sergio Mattarella, in der er über die trennende
Kraft der Angst spricht und den notwendigen Zusammenhalt in einer Gesellschaft anmahnt, hat
mich tief bewegt. Auch die Worte von Papst Franziskus in seiner Weihnachtsbotschaft
rüttelten mich auf. Franziskus sagte: “Ohne die Brüderlichkeit behalten all unsere
Bemühungen um eine gerechtere Welt einen kurzen Atem, und selbst die besten Vorhaben drohen
seelenlose Strukturen zu werden. Daher ist mein Glückwunsch zu Weihnachten ein Wunsch nach
Brüderlichkeit.” Das hat mich wirklich bewegt. Wir sind doch wirklich Brüder und Schwestern,
vergessen es aber oft. Das ist doch der Kern des Christseins: Man fühlt sich als ein Volk,
das Solidarität lebt, das sich um die Abgehängten kümmert, das den Einsatz für die
Mitmenschen anmahnt, um die Welt gerechter zu machen. Ein guter Christ fragt nicht, woher du
kommst und wer du bist. Im Gegenteil, wenn er sieht, dass dir kalt ist, zieht er seinen
Mantel aus und legt ihn dir um.

Frage: Man muss unweigerlich an die Flüchtlinge denken, die auch jetzt wieder übers Mittelmeer
nach Italien kommen. Wie stark erleben Sie die “trennende Kraft der Angst”?

Costa:
Alle Landsleute spüren das. Manche sind sich ihrer Ängste vielleicht nicht bewusst. Ganz
ehrlich: Ich selbst war ja auch nicht frei von dieser ansteckenden Krankheit.

Frage: Was meinen Sie damit?

Costa:
Ich habe Innenminister Matteo Salvini auf Twitter als “Clown” und “gefährlichen Idioten”
bezeichnet. Das war ein Fehler, für den ich mich entschuldige. Aber dieser Fehltritt hat mir
gezeigt: Wenn schon so jemand wie ich sich anstecken lässt, wie muss es da anderen
ergehen?

Frage: Besonders aufsehenerregend sind die Strafen, die Sie für Verstöße gegen die
Anti-Boshaftigkeits-Verordnung vorsehen: Lektüre von Büchern, Ansehen von Filmen, Besuche
von Museen und Gedenkstätten, ehrenamtliche Arbeit …

Costa:
Ein Verstoß soll ja keine Bestrafung zur Folge haben, sondern einen Weckruf. Wer verbal
aggressiv wird, ist eigentlich ein Opfer, dem geholfen werden muss. Also haben wir unter
anderem Wer die Nachtigall stört von Harper Lee, Papa, was ist ein Fremder? von Tahar Ben Jelloun, Ich zähmte die Wölfin von Marguerite Yourcenar, Ist das ein Mensch? von
Primo Levi oder Die Einsamkeit der Primzahlen von Paolo Giordano gewählt.

Frage: Sie sehen auch Filme als Sanktionen vor?

Costa:
Ja, Verstöße können auch mit dem Ansehen der Filme Das Leben ist schön von Roberto Benigni, mit Philadelphia mit Tom Hanks und Denzel Washington, dem Animationsfilm Alles
steht kopf
oder Citizen Kane von Orson Welles geahndet werden.

Frage: Was wäre der Nutzen der Lektüre oder des Ansehens eines dieser Werke?

Costa:
Die Bücher und Filme vermitteln Werte wie Toleranz, Solidarität, Beharrlichkeit, das
Meistern großer Herausforderungen und die Bedeutung von Mitmenschlichkeit. Es waren bildende
Werke, auch für mich. In den Weihnachtsferien habe ich selbst gelesen.

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