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Pflege: “Männa! Die können ja nich zujeben, wenn wat nich jeht”

Dieser Artikel ist erschienen auf unserer Schriftstellerplattform “Freitext”. Dort schreibt Katja Oskamp ihre Kolumne “Fußpflege in Marzahn”

Meine Marzahner
Fußpflegekundschaft besteht größtenteils aus Rentnern. Wäre ich Soziologin,
würde ich ihre Hobbys in drei Kategorien unterteilen: Hund, Garten, Kurzreise.
In Kombination treten gehäuft Hund plus Garten und Garten plus Kurzreise auf.
Kurzreise plus Hund kommt praktisch nie vor. Die Hobbys sind Übernahmen aus
einer Zeit, da die Rentner jung waren, arbeiteten und Kinder aufzogen. Im
Rentenalter werden die Hobbys weiter gepflegt, sogar intensiviert, doch
irgendwann war’s der letzte Hund, die letzte Kurzreise, der letzte Sommer im
Garten.

Frau Janusch gehört in
die Kombination Garten plus Kurzreise. Als ich sie kennenlernte, trug Frau
Janusch einen Kurzhaarschnitt in Pink und eine blaue Lederjacke. Sie fiel auf
mit ihrem extravaganten Stil, schlenderte aufs Studio zu, hob den Kopf, um
einer Elster im Geäst eines Baumes zuzuschauen oder die Nase in die Sonne zu
halten. Hatte sie vor dem Fußpflegetermin im Einkaufscenter auf die Schnelle
irgendeinen Fummel oder ein paar teure Lederschuhe erstanden, führte sie mir
die neuen Stücke glücklich vor. Wir flachsten herum, weil Frau Januschs
pinkfarbene Haare so hervorragend zum pinkfarbenen Thron, dem Fußpflegestuhl,
passten.

Während ich vor ihr
kauerte und ihr die Füße wusch, erzählte sie von ihrem Mann, der Tag und Nacht
am Sauerstoffgerät hing und die Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Ich guckte
betreten, doch bevor ich etwas sagen konnte, machte Frau Janusch jene Ansage,
an die ich mich fortan hielt: “Keen Mitleid!”

Frau Janusch ist Jahrgang
1942 und ein Kind des Prenzlauer Bergs. Zuerst wohnte sie mit ihren Eltern in
der Pasteurstraße, dann in der Käthe-Niederkirchner-Straße, die damals noch
Lippehner Straße hieß. Nach der Schule absolvierte Jutta Janusch eine
Schneiderinnenlehre und spezialisierte sich auf Leder. Sie arbeitete bald bei
VEB Perfekt in der Heinrich-Roller-Straße, einem Betrieb, der Handtaschen,
Geldbörsen, Lederbekleidung produzierte. Ihren Mann Peter Janusch, Jahrgang
1943, lernte sie auf der Tanzfläche kennen. Er hatte seine Lehre in der
Möbeltischlerei VEB Aufstieg in Friedrichshain gerade hinter sich und diente
anderthalb Jahre bei der Armee. An den Wochenenden scharwenzelten Jutta und
Peter durch die Berliner Tanzsäle, Behrens Casino, Clärchens Ballhaus, Bar
Lolott. “Eene Pulle Tokajer ham wa uns jeleistet und n janzen Abend dran
rumjenippelt.” Ihre erste gemeinsame Wohnung hatten sie in der Gaudystraße, “Een
Zimma. Erdjeschoss. Da liefen de Ameisen uffn Fenstabrett rum.” 

Mit dreiundzwanzig wurde
Jutta Janusch schwanger, bekam 1965 eine Tochter. 1967 heirateten sie und Peter
und zogen in die Immanuelkirchstraße, zwei Zimmer, Seitenflügel, vierter Stock,
Ofenheizung, Außenklo. Auf dem Hochzeitsfoto, das sie mir zeigte, trägt sie
spitze Schuhe mit Pfennigabsätzen. Das Hochzeitskleid reicht bis knapp unter
die Knie, die Taille ist gertenschlank. Eine schöne Braut. Neben ihr Peter mit
Schnurrbart, im schmal geschnittenen dunklen Anzug mit Krawatte, geschmackvoll,
lässig. Ein Hauch Westen.

Peter Janusch legte die
Meisterprüfung ab, kündigte beim VEB Aufstieg und eröffnete seine eigene
Möbeltischlerei in der Nähe der Prenzlauer Promenade. Zwei Stockwerke, zwölf
Angestellte. Die Möbeltischlerei Peter Janusch stellte Inneneinrichtungen für
Gaststätten her, restaurierte Möbel, und aus Spanplatten fertigte sie in Serie
das Gehäuse für einen Radiorecorder vom VEB RFT Sternradio Berlin. Die
Auftragslage war gut. In Stoßzeiten half Frau Janusch nach Feierabend in der
Tischlerei ihres Mannes. Aber sie blieb immer Angestellte bei VEB Perfekt,
unabhängig vom Mann, was aus heutiger Sicht ein Segen ist wegen der
Versicherung und der Rente.

Den Garten in
Pankow-Heinersdorf legten sie sich Ende der Siebziger zu. Mit festem Steinhaus,
um drei Ecken übernommen von einem Verwandten, der 1961 in den Westen gegangen
war. In jenen Jahren fing Peter Janusch auch an, sich für Malerei zu
interessieren und besuchte Abendkurse an einer Kunstschule. Er war ein geschickter
und erfinderischer Handwerker. Er veredelte das Haus und den Garten genauso wie
die alten Möbelstücke, die die Kunden ihm in der Tischlerei anvertrauten. Das
Restaurieren war seine Leidenschaft. Bei allem half das berühmte Vitamin B, B
für Beziehungen. Die Anmeldung für den Wartburg kauften sie einem Bekannten ab.
Mit dem ersten eigenen Auto fuhren sie samt Anhänger nach Pasewalk und
besorgten die begehrte Mangelware: Holzbalken für die Tischlerei.

1980 bekam Jutta Janusch
als Angestellte des VEB Perfekt eine Wohnung in Marzahn zugewiesen. Mann und
Tochter maulten zuerst, wollten den angestammten Kiez nicht verlassen – zu
steril, diese Neubauten, und zu weit draußen. Aber Frau Janusch setzte sich
durch – mehr Platz, mehr Komfort. Peter Janusch übernachtete in den folgenden
Jahren oft im Garten, weil der nur fünf Minuten von der Tischlerei entfernt
lag. Vielleicht war beider Eigenständigkeit das Erfolgsrezept ihrer Ehe. Jeden
Frühling reisten sie für ein paar Tage an die Ostsee, meistens nach Ahrenshoop.

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