/Häusliche Gewalt: “Das kann ich ihm doch nicht antun”

Häusliche Gewalt: “Das kann ich ihm doch nicht antun”

Immer
wieder, stets kurz, interessiert sich die Öffentlichkeit für das Ausmaß von
Partnerschaftsgewalt, die sogenannte häusliche Gewalt.
Wenn die neuen Zahlen des BKA herauskommen oder unverdächtige Organisationen
wie die Europäische Kommission verkünden, dass jede dritte Frau in Europa von
physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen ist
,
dann werden erschrocken Maßnahmen und bessere Unterstützung angemahnt.

Im Alltag aber wird geschlechtsspezifische Gewalt, die vor allem Frauen trifft, kaum beachtet. Frauenmorde werden immer noch öffentlich als Familiendramen deklariert, es sei denn, sie taugen zu rassistischer Mobilisierung. Gleichzeitig wird immer wieder der Mythos einer rachsüchtigen
und sich durch eine vermeintlich falsche Strafanzeige einen Vorteil
verschaffenden Frau bemüht
, um die Stärkung von Opferrechten zu
kritisieren. Organisationen, die Opfer unterstützen, werden als
“Opferindustrie” oder “Opferentourage” diffamiert

Nun
ist das Strafverfahren nur eine von mehreren Optionen, um für Prävention,
Schutz und Unterstützung für die Betroffenen zu sorgen. Aber so wünschenswert
es ist, dass nach anderen sinnvollen Mitteln gegen Partnerschaftsgewalt gesucht
wird, so wichtig bleibt das Strafverfahren – auch wenn die Fälle trotz
Opferrechtsreformgesetzen und Istanbul-Konvention in der strafgerichtlichen Praxis zu langsam, zu spät und mit Ergebnissen
verhandelt werden, die meist niemandem nutzen. Denn in der Praxis ist allein
das Strafverfahren der Ort, in dem ein Täter für sein Handeln zur Rechenschaft
gezogen wird. Außerdem haben verletzte Personen meist nur nach einer
strafgerichtlichen Verurteilung die Möglichkeit, Schmerzensgeld oder
Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu erhalten oder dafür zu
sorgen, dass Gewalt in Sorgerechtsverfahren berücksichtigt wird.

Wenn
es doch zu einem Strafverfahren kommt, sind es dann aber häufig die
vermeintlich so einflussreichen Opfer, die dafür sorgen, dass die Täter nicht
so oder gar nicht bestraft werden, wie es das Strafrecht eigentlich vorsehen
würde. Ich kann kaum noch zählen, wie oft ich es erlebt habe, dass meine
Mandantinnen Strafanträge zurückgenommen haben, dass sie von ihren
Zeugnisverweigerungsrechten Gebrauch gemacht haben, um doch nicht gegen die
Täter auszusagen. Wie oft sie mich damit beauftragen, irgendwie wieder aus dem
Verfahren herauszukommen, ohne dass die Täter bestraft werden: “Eine harte
Verurteilung würde er nicht akzeptieren, das träfe ihn zu hart. Vielleicht
würde er ja sogar seine Stelle als Lehrer, Polizist, Richter, Automechaniker …
verlieren, das ginge nicht.” Oder sie sagen: “Und die Geldstrafe? Wer soll die
bezahlen? Dann bekommen wir ja gar keinen Unterhalt mehr. Nein, das kann ich
ihm nicht antun. Dann bringt er mich wirklich um.” Und wie oft haben mir
Mandantinnen schon gesagt: “Ich glaube, er hat es jetzt wirklich verstanden,
wir versuchen es noch einmal miteinander.” Wir lächeln uns dann an, ich wünsche
viel Glück und gebe ihr mit auf den Weg, dass es ihr nicht peinlich sein muss,
wenn sie sich in ein paar Monaten wieder bei mir melden sollte. Meist sitzt der
Partner im Wartezimmer oder unten im Auto. Und allzu oft treffen wir uns dann
später tatsächlich wieder.

Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Sie ist Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Christina Clemm ist Gastautorin von “10 nach 8”.
© privat

Manchmal, eher selten, werden Taten der
sogenannten Partnerschaftsgewalt dann doch angeklagt (und das Verfahren wird
nicht eingestellt oder durch Strafbefehl verurteilt). Dann wird eine
Verhandlung geführt. Beispielhaft hierfür ist ein Fall, den ich vor wenigen
Wochen verhandelt habe. Ich habe den Namen geändert, die Personen so
beschrieben, dass die Identität meiner Mandantin geschützt ist, die mit der
Schilderung, so wie sie folgt, einverstanden ist. Nennen wir sie Frau Meier,
die sich irgendwann das letzte Mal von ihrem Ehemann getrennt hat, weil sie
sicher war, dass sie nicht überleben würde, wenn sie bliebe. Sie hat heimlich
die nötigsten Sachen gepackt, Geld vom Konto abgehoben und ist verschwunden.
Ihre Kinder hat sie zurückgelassen, drei sind es. Zwischen 14 und 23 Jahre alt
waren sie zu diesem Zeitpunkt. Auch sie glaubten, dass er die Mutter irgendwann
töten würde, wenn sie bliebe. Auch, wenn sie mitgekommen wären. Mittlerweile
ist er ausgezogen, Frau Meier ist in die Ehewohnung zurückgekehrt. Es war ihm
einfach zu viel, sich um alles zu kümmern. Ihr war das vorher klar.

Kurz nach seinem Auszug hat er ihr
geschrieben, dass er die Wohnung samt ihr und den Kindern anzünden werde.
Verbrennen sollten sie alle, wenn sie nicht zu ihm zurückkehrten. Zwei Tage
später stand er mit einem gezogenen Messer vor der Tür. Sie waren alle zu Hause
und konnten ihn überwältigen. Frau Meier ist sicher, dass er gekommen war, um
sie zu töten.

Daraufhin
hat sie ihn angezeigt. Die Polizei hat ihn mitgenommen, ihm eine Wegweisung,
also das Verbot erteilt, sich innerhalb von 24 Stunden der Wohnung zu nähern.
24 Stunden später schrieb er die nächste bedrohliche Nachricht. Frau Meier
erwirkte eine Gewaltschutzverfügung. Nach dem dritten Verstoß erhielt er neben
einem Ordnungsgeld eine Gefährderansprache. Ein Polizist muss ihm recht klargemacht haben, dass man ihn im Auge habe, und dass er ins Gefängnis käme, wenn er
weitermacht. Jedenfalls hat es für eine Weile funktioniert.

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