“Wenn wir streiken, steht die Welt still”: Mit diesem Slogan wollen am
Internationalen Frauentag tausende Frauen auf die Straße gehen. Mehr noch: Sie
wollen die ganze Republik lahmlegen. Es ist ein Kampf gegen ungerechte
Arbeitsverhältnisse, für mehr Lohn und bessere Kinderbetreuung. Auch in Hamburg
wollen Frauen streiken. Wie das aussehen soll, hat uns Clara Ihring vom
Organisationsteam des Hamburger Bündnis zum internationalen 8. März Streik
erklärt.
ZEIT
ONLINE: Was ist am Freitag in Hamburg geplant, Frau Ihring?
Clara Ihring: Wir beginnen um 12.30 Uhr
mit einer Kundgebung am Rathausmarkt. Dort wird es Rede- und Musikbeiträge
geben und stündliche Aktionen. Wie werden in umliegenden Läden Kaffee an die
Verkäuferinnen und Verkäufer verteilen, um ihnen Wertschätzung zu zeigen. Female Hip Hop
Artists und diverse Trommelgruppen werden auftreten. Außerdem sind Flashmobs
und eine kleine thematische Performance geplant. Wir möchten mit den Aktionen
alle Menschen einbeziehen und informieren, die einfach nur so in der Innenstadt
unterwegs sind. Ab 16.30 Uhr startet dann ebenfalls am Rathausmarkt der
Demonstrationszug. Jeder Mensch, der sich als weiblich definiert, kann auch
spontan noch mitmachen. Und wer Solidarität bekunden möchte, kann
beispielsweise ein Geschirrtuch oder eine Schürze aus dem Fenster hängen.
ZEIT ONLINE: Sie wollen nicht nur demonstrieren, sondern rufen auch zum Streik auf – warum?
Ihring: Im Prinzip geht es darum, dass 50 Prozent der Weltbevölkerung weiblich ist, aber Frauen selbst im Jahr 2019 noch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden. Auch heute ist es noch wichtig, für Frauenrechte zu kämpfen. Feminismus ist nicht abgeschafft. Mit dem Streik möchten wir den Begriff wieder positiv besetzen. Unsere Themenliste ist lang und reicht von Lohnungleicheit bis Luxussteuer auf Hygieneartikel.
ZEIT ONLINE: Was bringt es, wenn
Frauen einen Tag lang nicht den Haushalt machen oder nicht zur Arbeit gehen?
Ihring: Das ist vor allem als
symbolische Aktion zu verstehen. In vielen Haushalten ist es so, dass Frauen
die sogenannte Sorgearbeit, also Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns wie
Essen kochen oder Kinderbetreuung noch immer ganz selbstverständlich übernehmen
– ohne dass das zuvor besprochen wurde. In solchen Konstellationen ist es ein
Zeichen zu sagen: “Nö, heute gibt es kein Essen, und deine Hemden sind auch
nicht gewaschen und gebügelt. Aber hey, du weißt selbst, wie die Waschmaschine
funktioniert.” Indem die Sorgearbeit zuhause unterbrochen wird, werden die
anderen Personen, die ebenfalls in diesem Haushalt leben, darauf aufmerksam
gemacht, dass diese Arbeiten eben nicht selbstverständlich nebenbei erledigt
werden. Dass es sich dabei auch um Arbeit handelt – bezahlt wie unbezahlt.
ZEIT ONLINE: Warum übernehmen
immer noch vor allem Frauen diese Sorgearbeit?
Ihring: Ich glaube, das hat vor
allem mit den patriarchalen Strukturen zu tun, in denen wir aufwachsen. Wir
schauen uns ab, was wir vorgelebt bekommen haben. Die Frauen der Generation
unserer Eltern – ich bin Jahrgang 90, meine Eltern Jahrgang 60 – haben dafür
gekämpft, neben ihren familiären Verpflichtungen arbeiten gehen zu können. Wir
sind die Generation, die den Rest durchsetzen muss. Allerdings, wenn ich mir
die bereits angesprochene Lohnungleichheit anschaue, ist es nicht
verwunderlich, dass mehr Frauen als Männer sich dazu entscheiden, nach der
Familiengründung in Teilzeit oder gar nicht mehr zu arbeiten.
ZEIT ONLINE: Frauen arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten, wenn sie streiken?
Ihring: Ja, das wäre ein Grund zur Abmahnung, denn es gibt in Deutschland leider kein politisches Streikrecht. Auch dafür kämpfen wir. Unsere südeuropäischen Nachbarländer sind da viel weiter. Deswegen haben wir versucht, sehr explizit zu machen, dass der Begriff Streik für uns eine symbolische Bedeutung hat. Und wir haben die Aktionszeiten so gelegt, dass sich Leute nach der Arbeit beteiligen können.
ZEIT ONLINE: Neben Frauen
sprechen Sie auch trans- und intergeschlechtliche Personen an sowie explizit
Lesben, warum?
Ihring: Es ist internationaler
Tag der Frauen. Ein Tag für alle Personen, die sich als weiblich definieren.
Wir haben ein Interesse daran, dass sich auch Menschen, die zu einer eher
kleinen Gruppen gehören und oftmals diskriminiert werden, zeigen, eine Stimme
und Aufmerksamkeit bekommen.
ZEIT ONLINE: Dürfen auch Männer
mitmachen?
Ihring: Darüber, ob sich Männer
beteiligen dürfen oder nicht, haben wir lange diskutiert. Wir haben uns
schlussendlich dagegen entschieden. Obwohl natürlich auch viele Männer
Feministen sind, was gut ist. Wir sind sicher keine Männerhasser. Aber Männer
dürfen an 364 Tagen im Jahr auf die Straße gehen, der 8. März ist unser Tag. An
diesem Tag sollten wir im Vordergrund stehen. Deswegen haben wir uns für eine
Frauen-, Lesben-, Trans- und Inter-Personen-Only-Demo entschieden. An der Kundgebung
dürfen sich aber natürlich auch Männer beteiligen, die ist offen für alle. Und
wir freuen uns, wenn sie Dienstleistungen übernehmen.
ZEIT ONLINE: Was sind die
Dienstleistungen, die Männer am Freitag übernehmen dürfen?
Ihring: Solidarische Männer
werden beispielsweise die Kinderbetreuung im Rathaus übernehmen, Stände
betreuen und Kaffee kochen. Eine Männergruppe aus dem Gängeviertel bringt Essen
vorbei. Die wesentlichen Aufgaben sind vergeben, aber wir freuen uns natürlich
über jeden Mann, der vorbeikommt und uns unterstützen möchte.
ZEIT ONLINE: Mit wie vielen
Frauen rechnen Sie am Freitag?
Ihring: Unsere Vorbilder sind ein
bisschen Island und Spanien. In Spanien demonstrierten vergangenes Jahr
geschätzt mehr als fünf Millionen Menschen. Wir hoffen, dass wir auch viele
werden. Vielleicht klappt es in diesem Jahr noch nicht, aber bis 2025 wollen
wir mehrere Millionen Menschen auf die Straße bringen. Für Freitag erwarten wir
aktuell 5.000 bis 10.000 Menschen. Natürlich ist das wetterabhängig. Da an
diesem Tag auch eine Demonstration zur Pflege und ein Migrantinnenmarsch
stattfinden, mit denen es am Ende einen Zusammenschluss geben wird, erreichen
wir insgesamt bestimmt mehr als 10.000 Teilnehmerinnen.
ZEIT ONLINE: Sollte der Frauentag
Ihrer Meinung nach auch in Hamburg ein Feiertag werden, so wie in Berlin?
Ihring: Ich persönlich habe dazu
ein sehr ambivalentes Verhältnis. Natürlich ist es super, einen Feiertag mehr
zu haben. Und klar, wenn, dann selbstverständlich lieber einen wie den
Internationalen Frauentag und nicht etwa den nächsten christlichen Feiertag.
Aber in meiner Wunschvorstellung ist der Tag ein Feiertag, weil dafür gekämpft
wurde und nicht, weil ein Bundesland noch einen Feiertag zu vergeben hatte.
Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.
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