Der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland ist aufgekündigt worden. Marcel Dickow und Oliver Meier von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreiben im Gastbeitrag, wie Rüstungskontrolle dennoch funkionieren könnte.
Eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen weltweit steht vor dem Aus. Anfang Februar erklärten die USA und Russland, sich nicht mehr an den INF-Vertrag halten zu wollen, der die Abrüstung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer festschreibt. Seitdem läuft eine sechsmonatige Austrittsfrist. Es wäre aber schon eine große Überraschung, sollten sich die Regierungen der USA und Russlands noch darauf verständigen, die im Raum stehenden Vorwürfe zu klären und Vertragsbrüche zu heilen. Ansonsten wird das Abkommen am 2. August Geschichte sein.
Die Nato diskutiert gegenwärtig militärische Reaktionen auf den behaupteten russischen Vertragsbruch und wird vermutlich im Mai erste Entscheidungen treffen. Eine Nachrüstung allein aber wird die strategische Stabilität in Europa nicht verbessern und dürfte auch Russland nicht dazu bringen, den INF-Vertrag wieder einzuhalten. Im Gegenteil, es droht eine neue Rüstungsspirale in Gang zu kommen.
Gerade deutsche Politiker fordern daher eine Anpassung des Vertrags und neue Rüstungskontrollabkommen. Dieser Ruf ist genauso wichtig wie richtig, dürfte aber wenig Wirkung entfalten, solange die Atomwaffenbesitzer nicht auf konkrete Vorschläge reagieren müssen. Wie also kann es mit der Rüstungskontrolle weitergehen, wenn der mehr als 30 Jahre alte INF-Vertrag nicht mehr gilt?
Im Zentrum der Bemühungen sollte der Erhalt bestehender Abkommen stehen. Verträge aufzukündigen zerstört Vertrauen, führt zum Verlust von Mechanismen zur Vertrauensbildung und Konfliktklärung und mindert die Bereitschaft von Drittstaaten, in Rüstungskontrolle einzusteigen. Neue Regelungen sollten problemspezifisch sein und möglichst an bestehende Verträge anknüpfen. Ein großer Wurf in der Rüstungskontrolle ist momentan wenig realistisch.
Marschflugkörper sind präzise und billig
Handlungsbedarf bei der Kontrolle von Mittelstreckenwaffen besteht insbesondere bei den Marschflugkörpern. Diese sind für viele Staaten interessant, weil sie zielgenau und vergleichsweise billig sind. Eine Verteidigung gegen die tieffliegenden Raketen ist kaum möglich. Die Proliferation solcher Systeme nimmt zu, insbesondere auch in den Atomwaffenstaaten. Es ist also nicht verwunderlich, dass ein neuer russischer Marschflugkörper namens SSC-8 der Grund für die Entscheidung der USA ist, aus dem INF-Vertrag auszusteigen.
Ein globales Verbot von Marschflugkörpern wird kaum erreichbar sein. Zu unterschiedlich sind Fähigkeiten und Motive hinter den Rüstungsprogrammen, zu groß das Interesse, über diese Waffen zu verfügen. Zwei spezifische und ein allgemeiner Ansatz werden daher diskutiert, um den INF-Vertrag weiterzuentwickeln.
Erstens wird über eine Anpassung des Regulierungsgegenstandes nachgedacht. Russland und die USA haben auf das Verbot landgestützter Waffen im INF-Vertrag mit einer Umrüstung auf see- und luftgestützte Systeme reagiert. Russland hat mittlerweile neun verschiedene Typen solcher Systeme, die USA sieben.
Ein Nachdenken darüber, wie man Rüstungskontrolle neu ausrichten kann, um diese Entwicklung einzufangen, ist also dringend geboten. Eine erste Idee läuft darauf hinaus, alle atomar bewaffneten Marschflugkörper zu erfassen. Das würde die Gefahr reduzieren, dass in einer Krise zwischen Nuklearstaaten ein konventioneller Angriff mit Marschflugkörpern als Atomwaffenangriff fehlinterpretiert wird.
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