Über einer Kreuzung im kleinen Küstenort Cahuita hängt am Abend, kopfüber an einer Stromleitung, ein Faultier. Eine Kreolin schlappt des Weges, sieht nicht mal hoch. Im Zeitlupentempo schleicht das Faultier durch die Luft, hangelt unter dem Kabel entlang, ratzt und döst dabei vor sich hin, von Natur aus im zutiefst entspannten Seelenzustand.
Das Faultier könnte als Sinnbild für die costaricanische Karibikküste stehen. Diesem Ufer, das im Norden des Nationalparks Tortuguero beginnt und bis zu den Stränden hinter Puerto Viejo im Süden reicht. Eine kleine, eine kurze, eine gemütliche Küste. Man könnte sagen: putzig. Ein Gestade, an dem der Regenwald und die Mangroven bis zum Spülsaum des Meeres wachsen, an dem die Palmen im Passatwind knistern und die Hütten in den Farben der Korallen bemalt sind. Die Menschen hier sitzen gerne auf ihren Veranden, liegen in den Hängematten, beschauen sich die Welt. Keine Hektik, alles cool hier. Alles Reggae.
“Yah, man”, sagt Raymond, der in seinem zerschlissenen Sofa vor seinem türkisfarbenen Haus sitzt und “man” wie “Mann” ausspricht, mit seiner dunklen Haut, seinen runden Füßen, seinen mächtigen Armen. Raymond arbeitet eigentlich als Naturführer an den Stränden von Manzanillo, wandert dort mit Besuchern durch den Busch, zeigt ihnen die Schlangen und Nasenbären, all die wilden Pflanzen. Eigentlich. Denn hier unten an der Karibik schlägt sich niemand um Kunden und Arbeit. Die Sonne scheint, der Regen ist warm, und die Kokosnüsse und Papayas wachsen eh gleich an den Bäumen. Man muss ja nur seinen Arm ausstrecken. Arbeit? Ach, Gott, das Leben lässt sich schöner verbringen.
Costa Rica ist gesegnet mit zwei Küsten, der Atlantik im Osten, der Pazifik im Westen – und dies kaum mehr als einen Katzensprung voneinander entfernt. Nur 150 Kilometer trennen die beiden Weltmeere an der engsten Stelle (nur Panama kann das noch unterbieten). Die Ticos sagen stolz: “Costa Rica ist ein Land, so schmal wie die Hüfte einer schönen Frau.”
Atlantik und Pazifik haben das Land geprägt. Seine Natur, sein Klima, seine Wirtschaft, seine Menschen. Sogar seinen Namen verdankt es den beiden Ozeanen. Costa Rica. Die reiche Küste. Doch so sehr die Meere das Land einen und bestimmen, so unterschiedlich sind seine beiden Küsten. Urig, niedlich und beschaulich die Karibik, allein in Zahlen: Nur über 250 Kilometer erstreckt sich dieser Küstenabschnitt, dann kommt im Norden schon Nicaragua, im Süden die Grenze zu Panama. Und nur drei größere Orte haben sich an der Ostküste angesiedelt: Puerto Limón, Cahuita und Puerto Viejo. Das Leben hier? An der Karibik ist es eine Mischung aus Palmen und bunten Buden, ein Punch aus Hostels und Fruchtshakes, aus dicken Joints und lautem Bob Marley.
Darüber hinaus ist hier alles von der Banane geprägt. Globale Firmen wie Del Monte, Dole und Chiquita haben das Sagen, seit Anfang des frühen 20. Jahrhunderts die ersten Bananendampfer die Hafenstadt Puerto Limón verließen, ein noch heute nicht ungefährliches Pflaster, wo die meisten Häuser, sogar die Polizeistation vergittert sind.
Freier und offener sind die kleinen Orte Cahuita und Puerto Viejo. An den Ständen am Strand, nur Meter von den grünen Wellen, wehen Strandtücher, liegen bunte Kettchen aus, flanieren die Traveller und Winterflüchtlinge. Vor dem wild bepinselten “Restaurante Roberto” in Cahuita erzählt José von Kajaktrips, Schnorchelausflügen und Angeltouren. Ob jemand bucht oder nicht, scheint ihm egal zu sein. “Pura vida”, sagt er, liegt in seinem Baststuhl und krault sich den Bauch.
Schon beim Frühstück tönt Reggae aus den Cafés, spätestens nachmittags wummern die Bässe aus den Bars, und jedes zweite zusammengenagelte Lokal trägt die Musik im Namen. Das “Reggae-Café”, das “Reggaeland”, das “Casita Reggae”. Der Sound ist Programm, und es ist ein bisschen so, als schielten sie hier alle wehmütig, aber entschlossen nach Osten aufs Meer, rüber zu ihren großen Brüdern. Jamaika, Barbados, Tobago. Costa Ricas Ostküste ist die kleine Version der wahren Karibik, ein letzter Vorposten der Rastafaris. Die Schilder vor einem Restaurant fassen das Lebensgefühl zusammen: “Inspire, laugh, love, hope, dream, smile”.
Einen Tag lang dauert die Fahrt auf die andere Seite, der Sprung in eine andere Welt. Und oben bei Playa del Coco ist er bald das erste Mal zu sehen, zeigt sich noch zurückhaltend, in einer kleinen Bucht. Der Pazifik. Das andere Weltmeer, das an Costa Ricas Westen brandet. Und hier ist nun alles größer und weiter, die Welt wirkt raumgreifender und viel mächtiger in ihren Dimensionen. Über mehr als 1.000 Kilometer zieht sich Costa Ricas Pazifikküste von Norden nach Süden, biegt sich in den Golf von Nicoya, dehnt sich bis zur Osa-Halbinsel und zum Golfo Dulce. Und der Stille Ozean macht keinen Hehl daraus, dass er der Erhabenere ist. Das größte Meer des Planeten. Ein Gigant, dessen Ausmaße überall ihre Schatten werfen.
Zum Beispiel mit den dicken Fischen in El Coco. Über den Tauchschulen hängen Hai-Attrappen, die cabañas schmücken sich mit großen Schwertfischen aus Plastik. Und im Meer vor der Nase tummeln sich die echten Großfische. Die Inseln in der Bahía Murciélago sind eines der wenigen Reviere der Welt, wo man gleich mit ganzen Geschwadern von Bullenhaien tauchen kann, Fische, die als gefährlicher und gefräßiger gelten als der Weiße Hai. Ein Nervenkitzel, der zum Geschäft geworden ist. Denn dem Geld jagt man hier im Westen deutlich emsiger hinterher als an der Karibikküste. Über ein Dutzend Tauchbasen allein in Coco Beach bieten “Shark Dives” an. Und sind die Haie gerade nicht vor Ort, führen Touren und Tauchgänge zu den Mantarochen, Buckelwalen, Orcas und Walhaien, die durchs Meer ziehen.
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