“Nummer 1: Wan-Tan-Suppe. Nummer 2: Frühlingsrolle, dann Wan Tan gebacken, Krabbenchips und Chop Suey.” Wenn es um die Küche seiner Heimat geht, redet sich der sonst eher zurückhaltende Guanfeng Guan, ein Berliner Restaurantbesitzer, beinahe in Rage. “Anfang der Neunziger gab es rund 600 chinesische Restaurants in Berlin, und alle haben das Gleiche verkauft. Heute sind es zum Glück weniger – aber wirklich authentisch geht es selten zu.” Das so beliebte Chop Suey zum Beispiel wurde von einem Auslandschinesen in Kalifornien kreiert, damit geht es schon mal los.
Das Klischee reicht bis zum üblichen Dessert mit gebackener Banane mit Honig und Pflaumenwein. Doch die eine chinesische Küche gibt es so wenig wie eine europäische. Viel eher gleichen ihre lokalen Besonderheiten der Komplexität der chinesischen Schriftzeichen. Sie eint, dass Essen durch alle Bevölkerungsschichten hindurch einen hohen Stellenwert hat. Zur Begrüßung fragt man nicht “Wie geht es dir?”, sondern “Hast du schon gegessen?”
Der aus der Provinz Zhejiang stammende Guanfeng Guan betreibt unter anderem die Long March Canteen in Berlin-Kreuzberg. Hier fühlt man sich wie in einem Pekinger Hutong, jenen traditionsreichen Bezirken mit engen Gassen und versteckten Höfen, wo alles ewiges Provisorium ist. Das Essen wird auf einem Servierwagen zu den Gästen gerollt. Auf der Karte stehen rund 60 verschiedene Kleinigkeiten, von Ochsenbäckchen in Reiswein über im Porzellantopf gereiftem Rettich bis hin zu essigmarinierter Aubergine. Dim Sum bedeutet auf Deutsch “Kleinigkeiten, die das Herz berühren”. Im Prinzip handelt es sich um die asiatische Version von Tapas. Sie können warm sein oder kalt, süß oder salzig, und werden in ganz China zu allen Tageszeiten gegessen, vom Frühstück bis zum nächtlichen Karaoke. Besonders beliebt sind sie in Shanghai, jener Stadt, deren Küche sich die Long March Canteen verschrieben hat.
© Long March Canteen
Wir glauben, viel über China zu wissen. Über seine Geschichte, vom Kaiserreich zum Kommunismus, seinen Aufstieg zur Weltmacht, seinen Umgang mit Daten und Frauenrechten. Vom chinesischen Internetgiganten Alibaba oder von Huaweis Smartphones haben die meisten schon gehört – vielleicht auch davon, dass so einige französische Weingüter von Chinesen aufgekauft worden sind und das Land auf dem besten Weg ist, Weltmeister im Fleischverzehr zu werden. Vom Reichtum der chinesischen Küche hingegen ist im Westen nur wenig bekannt. Ziemlich erstaunlich angesichts des Hypes, den andere asiatische Länder hinter sich haben, von Korea über Vietnam bis hin zum Dauerbrenner Japan. Doch es gibt Anzeichen, dass sich das ändert, dass die Welt, nach dem rasanten Aufstieg des Landes, nun auch die Vielfalt einer neuen chinesischen Küche entdeckt. Gelingt eine Erfolgsgeschichte wie zuletzt die der New Nordic Cuisine, von der zuvor auch niemand etwas ahnte? “Ich glaube, jetzt sind wir einfach mal an der Reihe”, sagt Xiaofen Fan, die Besitzerin des Berliner Restaurants Made in China.
Im Made in China gibt es sonntags Brunch mit Gerichten, von denen viele noch nie gehört haben, zum Beispiel Schweine-Baozi, frittierte Krapfen namens Youtiao und die Crêpevariation Jian Bin. Xiaofen Fan stammt aus Shanghai und ist, ähnlich wie ihr Kollege Guanfeng Guan, ein Fan von Dim Sum. “Wir Chinesen lieben Essen”, erklärt sie bei einem Tee aus Datteln und Gojibeeren, “je mehr verschiedene Gerichte auf dem Tisch stehen, desto besser.” Die sehr deutsche Eigenheit, dass jeder einen Teller vor sich stehen hat, gebe es in China nicht: “Zu zweit bestellt man mindestens vier Vorspeisen, dazu eine Suppe, alles kommt gleichzeitig auf den Tisch.” Wenn aus einer Portion für jeden viele kleine Happen werden, kann man sich ja vielleicht sogar mal an in Sojasoße gedämpfte Hühnerfüße, eine kantonesische Spezialität, heranwagen.
© Long March Canteen
China ist in 23 Regionen und acht kulinarische Zonen gegliedert. In der Min-Küche findet man viel Umami, in der uigurischen Xinjiang-Küche Fleischspieße und Fladenbrot, im Nordosten Teigwaren. Die ostchinesische Anhui-Küche gilt mit ihren Kräutern und regionalen Zutaten als besonders gesund. Kantonesisch wiederum bedeutet feine Aromen, Zurückhaltung bei Gewürzen sowie viel Fisch und Meeresfrüchte. In Shandong kocht man viel mit fermentierten Produkten, in Shanghai eher mit Fisch und Meeresfrüchten. Scharf geht es in Hunan zu, noch schärfer in Sichuan.
Überraschenderweise ist gerade diese Schärfe bei Deutschen besonders beliebt. Foodblogger schwärmen vom Liu Chuan Chuan Xiang & Nudelhaus, einem hauptsächlich von Chinesen frequentierten Berliner Schnellrestaurant mit Serviettenspendern in Pandaform – und das, obwohl es bis vor Kurzem nicht mal einen Instagram-Account hatte. Die Suppen mit den handgezogenen Weizennudeln namens Lamian gibt es in mehreren Schärfegraden, was typisch ist für die feurige Küche der Provinz Sechuan. In Hamburg geht man für Mapo-Tofu, einer Hackfleisch-Tofu-Spezialität aus Sichuan, zum Beispiel zu Shu Du, in München in die Sechuan-Küche, in Leipzig zum Chinabrenner.
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