/Rüstungspolitik: Erobern mit deutscher Wertarbeit

Rüstungspolitik: Erobern mit deutscher Wertarbeit

Welches Ende Hightech-Rüstungsgüter aus Deutschland nehmen können, zeigt
ein Propagandavideo der Terrorgruppe “Islamischer Staat” (IS). Aufgenommen ist es in der
nordsyrischen Steppe bei Al-Bab, einer Stadt unweit der türkischen Grenze. Die Kamera wackelt,
im Vordergrund sieht man Felsbrocken, weiter hinten eine Siedlung – dort, hinter einer Mauer,
einen Kampfpanzer. Dann ein Zischen, ein Feuerball fliegt in seine Richtung. Eine schwarze
Rauchwolke steigt hoch, der Panzer steht in Flammen. Man hört laute Allah-Rufe der
Terroristen.

Das Modell ist ein Leopard-2A4-Panzer in den Farben und mit einer Seriennummer der türkischen Armee. Die Türkei besitzt mehr Kampfpanzer aus deutscher Fertigung als Deutschland selbst und setzt sie regelmäßig in Syrien ein. Das belegen nicht nur die Aufnahmen des IS vom 15. November 2016, sondern auch Informationen der Rechercheplattform Bellingcat. Inzwischen ist der IS fast geschlagen. Aber es droht die nächste türkische Offensive in Syrien. Präsident Recep Tayyip Erdoğan will die faktische Autonomie der Kurden in Nordsyrien zerschlagen. Mehrere Zehntausend türkische Soldaten sind dafür an der Grenze aufmarschiert. Gibt Erdoğan den Befehl zum Angriff, wird es ein harter, blutiger Kampf.

Wie kommt die türkische Regierung dazu, deutsche Kampfpanzer in Syrien einzusetzen? Wer hat sie an Ankara verkauft? Warum gibt es keine Auflagen für ihren Einsatz außerhalb des Nato-Landes Türkei? Der Weg des Leopard 2A4 nach Al-Bab ist eine Geschichte über die Spätfolgen leichtfertiger deutscher Rüstungsexporte, über Geschäfte unter Verbündeten und über enttäuschte politische Hoffnungen.

Sie beginnt im Kalten Krieg. Der Leopard 2A4 wurde von 1985 bis 1992 hergestellt. Eine Kampfmaschine, die damals viele Staaten der Welt kaufen wollten, aber nur wenige bekamen – vor allem Nato-Verbündete. Besonders begehrt war der Panzer wegen seines Triebwerks, das mehr leistete und weniger verbrauchte als vergleichbare US-Modelle. Mit seiner Präzisionskanone konnten Schützen aus voller Fahrt auf bewegliche Objekte feuern. In den Kasernen der Bundeswehr standen 1990 insgesamt 2125 dieser Leopard-Panzer – darunter auch jene, die heute in Syrien rollen. Zur Verteidigung gegen Armeen des Warschauer Pakts horteten Panzerbataillone von Flensburg bis Grafenwöhr diese Waffen massenhaft. Als die Bundesrepublik 1990 den KSE-Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa unterschrieb, mussten sie ausgemustert werden. Die meisten Panzerverbände der Bundeswehr wurden geschlossen, die Panzer in großen Depots eingemottet. Dort wurden sie zum Objekt der Begierde vieler Staaten.

Die Türkei erhält schon in den frühen Neunzigerjahren ausgemusterte Leopard-1-Panzer aus Deutschland. Doch Ende der Neunzigerjahre will Ankara mehr: das moderne Leopard-2-Modell. Die türkische Anfrage nach rund 1000 Panzern treibt im Herbst 1999 einen Keil in die junge rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer. Die türkische Armee führt zu diesem Zeitpunkt einen blutigen Krieg in den Kurdengebieten. Für die Grünen Grund genug, der Türkei die Panzer zu verweigern, für Schröder nicht. Am 20. Oktober 1999 entscheidet der Bundessicherheitsrat in geheimer Sitzung, Ankara einen ersten Testpanzer zu liefern. Die Koalition droht zu platzen.

In einer hitzigen Kabinettssitzung am 27. Oktober 1999 giften sich Schröder und Fischer an. Der Außenminister sperrt sich wie seine Partei gegen Panzerexporte an die Türkei. Wenn die Armee auf die eigene Bevölkerung schieße, verstoße das gegen Menschenrechte, so Fischer. Der Kanzler hält die Kritik für “hergeholt”. Schröder brüllt Fischer an, er wolle die “Kapitulation” des Kanzlers.

Der rot-grüne Konflikt um Rüstungsexporte zieht sich über Jahre hin. Der Kanzler und die Grünen streiten sich um U-Boote für Israel, Spürpanzer für die Vereinigten Arabischen Emirate und eben Leopard-2A4-Panzer für die Türkei. Den Grünen und einigen SPD-Ministern gelingt es, die Rüstungsexportgesetze zu verschärfen und die Achtung der Menschenrechte als Kriterium aufzunehmen. Damit, hoffen die Grünen, sei das Thema Türkei erledigt.

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