Wenn Jeff Frank seine Schüler morgens mit high five
abklatscht, wenn er Pausenaufsicht hat oder nachmittags mit ihnen
Basketball spielt, trägt er im Holster unter seinem Hemd eine
geladene Pistole. Die Schüler wissen nichts davon. So soll es an der Dorfschule in Ohio im Mittleren Westen der USA bleiben. Jeff Frank heißt er daher auch nur in diesem Text, weder
sein Name noch seine Schule sollen bekannt werden. “Nicht, dass mir
so etwas passieren würde – aber was wäre, wenn mich ein Schüler
überwältigt und mir die Waffe abnimmt?”, sagt Frank am Telefon.
Der 42-Jährige ist Bezirksverwalter an seiner Schule. “Ich kenne jedes Kind mit Namen”, sagt Frank.
Die meisten stammen wie er von deutschen Einwanderern ab, soziale Ungleichheit gibt es kaum, und jeder meint alles über jeden zu
wissen Außer die Sache mit den Waffen. “Als ich
zum ersten Mal bewaffnet zur Schule kam, war das schon ein seltsames
Gefühl.”
“Etwas hat sich geändert”
Eine kleine Schule, an der sich drei Mitarbeiter morgens heimlich eine Waffe
umschnallen, damit den Kindern nichts passiert? Als Frank selbst noch
Schüler war, wäre ihm das absurd erschienen. Zwei Jahrzehnte später
war er es, der die Lehrerinnen und Lehrer und andere Mitarbeiter in seinem Schulbezirk
dazu aufrief, sich an der Waffe ausbilden zu lassen. “Etwas hat
sich geändert.”
Als ein
junger Mann genau vor einem Jahr an seine ehemalige Schule in Parkland
zurückkehrte und 17 Menschen erschoss, forderte US-Präsident Donald
Trump Lehrer dazu auf, sich zu bewaffnen. Die
Untersuchungskommission aus ehemaligen Polizisten, die nach dem
Angriff eingesetzt wurde, empfahl dies in ihrem Abschlussbericht
ebenfalls. Und Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos schlug vor, mit
Steuergeldern, die für die Verbesserung von Bedingungen an Schulen
vorgesehen sind, Waffen
für Lehrer zu kaufen.
Landesweit
wurde gegen diese Forderung protestiert. Dabei ist Trumps Forderung längst Wirklichkeit:
Täglich kommen in den USA mehrere Tausend Lehrer und
Schulmitarbeiter bewaffnet zum Unterricht. Darüber hinaus hatten 42
Prozent der öffentlichen Schulen im Schuljahr 2015/16 mindestens
einen bewaffneten Sicherheitsbeamten angestellt, wie ein Bericht
des US-Bildungsministeriums zeigt.
Wendepunkt Sandy Hook
“Etwas hat
sich geändert.” Das sagt auch Tom Kuroski. Nur meint er es anders als Jeff Frank. Kuroski ist 58 Jahre alt und
seit 35 Jahren Biologielehrer in Newtown – einem kleinen Ort in Connecticut, den spätestens nach dem 14. Dezember 2012 alle kennen. An jenem Tag fuhr ein schwarzer
Honda an Kuroskis Highschool vorbei. Der Lehrer war gerade in einer
Besprechung und beachtete den Wagen genauso wenig wie seine Kolleginnen und Kollegen. Der Honda fuhr weiter und hielt auf der anderen Seite des Highways: vor der
Sandy-Hook-Grundschule.
Der Amoklauf
von Sandy Hook, bei dem 20 Erstklässler und sechs Lehrerinnen getötet wurden, war einer der folgenschwersten in einem Land, in dem laut der
US-Gesundheitsbehörde 2017 mehr als 14.000 Menschen durch
Waffengewalt starben, Suizide nicht eingerechnet – gegenüber 116
in Deutschland. Nie zuvor waren die Opfer so jung gewesen.
“Ich war überzeugt, dass dieses Massaker alles ändern würde”,
sagt Kuroski am Telefon. Als Leiter des Lehrerverbands von Newtown
fühlte er sich in besonderem Maße für die Sicherheit seiner
Kollegen und Schüler verantwortlich. Wäre es nach
Kuroski und dem damaligen Präsidenten Barack Obama gegangen, hätte
der US-Kongress ein Gesetz zur Waffenkontrolle verabschiedet, so wie das
australische Parlament nach dem Massaker von Port Arthur 1996, bei dem 35 Menschen starben.
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