/Russland: Nun sinkt auch das Vertrauen in Wladimir Putin

Russland: Nun sinkt auch das Vertrauen in Wladimir Putin

Wer
jetzt in Russland über Machterhalt und Wladimir Putins Zukunft
nachdenkt, dem fallen Eier ein. Oder Zucker. Oder Mehl. Immer gab es in
Russland Eierkartons mit zehn Eiern, nun: auch solche mit neun. Die
Standardpackung für Zucker umfasst kein Kilo mehr, sondern 900 Gramm.
Alles wird teurer, weil mit dem neuen Jahr die Mehrwertsteuer auf 20
Prozent angehoben wurde. Die Zuckerpreise stiegen
zwischenzeitlich um das Anderthalbfache, Eier wurden um ein Viertel teurer. Man hätte
die Preise massiv erhöhen, den Inhalt der Ware reduzieren können, aber
der Mix macht es: bisschen teurer, bisschen weniger drin. Und das
Erstaunliche ist, dass der russische Präsident Wladimir Putin neuerdings
an all dem nicht mehr vorbeikommt.

Putins
Zustimmungswerte fallen schon länger nach und nach, selbst während der
WM sank das Vertrauen in ihn, weil das Rentenalter angehoben werden
sollte
. Abnutzungserscheinungen, Gewöhnung, mag alles sein, nur: Seit Kurzem sind seine Werte im freien Fall. Laut Umfragen eines kremlnahen
Umfrageinstituts vertrauten im Januar nur noch 32,8 Prozent Wladimir
Putin – noch ein Jahr zuvor lagen die Werte mehr als 20 Prozent höher.
Nun wird auch Wladimir Putin für die Innenpolitik verantwortlich gemacht
– und das ist ein Novum.

Wenn
ich in den vergangenen drei Jahren durch die russischen Regionen
reiste, dann schimpften die Menschen leidenschaftlich über die Politiker
und Gouverneure. Bei Kursk im Westen Russlands klagten mir Bauern,
korrupte Politiker hätten sie um ihr Land betrogen. In Toljatti in
Zentralrussland erzählte mir ein kluger Putinwähler, dass auf den
Datschen in seiner Nachbarschaft neuerdings wieder mehr Gemüse als
Blumen gezogen würde. In Sotschi verfluchte eine alte Dame den
Gouverneur, weil er die Ermäßigungen für Rentner einkassiert hatte, im
westsibirischem Kemerowo waren Bewohner in Rage über die epidemische
Korruption, die einen Kaufhausbrand mit vielen Toten herbeigeführt
hatte. Sie alle schimpften leidenschaftlich auf die Politik, auf die
korrupten Gouverneure, auf die unfähige Regierung, auf den
Premierminister. Nur auf einen ließen sie nichts kommen: Wladimir Putin.
Es war, als habe er mit den Verhältnissen nichts zu tun, unter denen
sie litten. Er war der starke, der gute Herrscher, an den sie Bittbriefe
schickten, wenn sie sich von der Justiz und Politik verraten fühlten.
Trug sich Unrecht zu, dann nur, weil Wladimir Wladimirowitsch nicht
überall im Land und nicht über alles informiert sein konnte. Es war, als
schwebte Wladimir Putin über der Politik.

Einmal
im Jahr hält der Präsident Sprechstunde. “Direkter Draht” heißt die
Sendung und gut anderthalb Millionen Bürger aus dem ganzen Land
versuchen, zu ihm durchgestellt zu werden. Glücklich, wer durchkommt! Da
wird über die furchtbaren Straßen in Omsk geklagt – schon werden sie
repariert. Da zahlt eine Fabrik ihren Arbeitern seit Monaten kein Gehalt
– Putin richtet es. Da droht einer Fakultät die Schließung – Putin
schimpft den Gouverneur aus. Der gute Zar, die bösen Bojaren, so wurde
die politische Verantwortung in Russland bisher verteilt. Das war der
Kern der politischen Stabilität in Russland, getragen von der
“Putinschen Mehrheit”, wie es der Polittechnologe Gleb Pawlowski nannte:
Selbst, wenn es schlecht geht, auf diese Mehrheit konnte sich der
Wladimir Putin verlassen. Und nun?

Der Pessimismus der Russen ist groß

Früher,
wenn seine Umfragewerte fielen, löste Wladimir Putin das auf seine
Weise. Proteste gegen seine (Wieder)-Herrschaft 2012? Er griff durch und
leitete die konservative Wende ein. Krim nasch? Prompt schossen seine
Werte durch die Decke. Aber diese Taktik lässt sich nicht beliebig
wiederholen. Als Wladimir Putin im vergangenen März wiedergewählt wurde,
versprach er deshalb: Weniger Ausgaben fürs Militär, mehr Innenpolitik
auf der Agenda – Gesundheit, Wirtschaftswachstum, Bildung und Industrie.
Doch wie die neuen Pfade betreten, ohne ein politisches Risiko
einzugehen? In Russland, schreibt der Publizist Maxim Trudoljubow, gebe es zwei Staaten: einen gewöhnlichen, der sich um Ausgaben und Soziales kümmere und einen, den er “den anderen Staat” nennt. Der sichert das Geld, die Macht, rekrutiert die Oligarchen und nährt die Sicherheitsstrukturen. Diesen
Staat hat Wladimir Putin bislang beherrscht – der andere: nicht sein
Geschäft. Undankbar und risikoreich. Dieser Staat müsste jetzt nach vorn
treten.

Das
neue Jahr in Russland beginnt mit schlechter Stimmung. Der Pessimismus
der Russen ist in den Umfragen aller Institute groß, das Misstrauen
gedeiht, Putins Umfragewerte fallen, womöglich werden sie die neue
Normalität sein. Das sind weder Vorboten von Putins Ende noch einem
Systemwechsel. Aber womöglich sind das die ersten Anzeichen dafür, dass
Wladimir Putin sich in seinem 19. Jahr an der Macht entscheiden
muss: für bleierne Jahre der Stagnation – oder für eine Transformation.
Fragt sich nur, wohin.

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