Damit in Filmen schwarze und weiße Amerikanerinnen und Amerikanern Freunde werden können, braucht es meistens Geld. Geld, das von der einen in die andere Hand wandern kann und ein künstliches Abhängigkeitsverhältnis schafft. Nur so scheinen weiße Protagonisten die eigenen Vorurteile aus ihren Köpfen verbannen zu können. Das berühmteste Beispiel ist der Oscar gekrönte Film Miss Daisy und ihr Chauffeur aus dem Jahr 1989. Daisy, weiß, exzentrisch und verwitwet, wird von ihm, Hoke, schwarz, weise, ebenfalls verwitwet, solange in die Synagoge und die Bücherei gefahren, bis aus Antipathie Freundschaft wird.
Nun kommt, genau zwanzig Jahre später, Green Book in die deutschen Kinos und führt die Erzählung fort. Nur andersrum: Der Geldgeber ist schwarz, der Kerl hinterm Lenkrad weiß (die Vorurteile bleiben natürlich da, wo sie hingehören). In Amerika ist der Film bereits für fünf Oscars nominiert. Die Akademie liebt solche Versöhnungsstories, in denen es um die Erleuchtung weißer Helden geht. Mit ihnen lässt sich auf großer Leinwand zeigen, wie weit das Land (von Segregation zu Integration) doch gekommen ist (oder gerne gekommen wäre).
Green Book ist ein Roadmovie, spielt in den frühen Sechzigerjahren und erzählt die Freundschaftsgeschichte von Tony Vallelonga und Don Shirley.
Rassist mit Riesenherz
Tony Vallelonga, genannt “Tony Lip” (gespielt von Viggo Mortensen), ist ein stämmiger Italoamerikaner aus der Bronx, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Er hat unzählige Freunde, zwei Kinder und eine liebenswürdige Ehefrau (Linda Cardellini), die natürlich auch Italienerin ist, weil Tony wiederum jemand ist, der seinen Wurzeln ewig treu bleiben wird. Wie fast alle im Kiez misstraut er seinen schwarzen Mitmenschen. Er nennt sie “Auberginen” oder “Kohlen”. Am Anfang des Films gibt es eine Szene in seiner kleinen Wohnung, in der er Limonadengläser, aus denen zwei afroamerikanische Handwerker getrunken haben, in den Mülleimer wirft. Er ist impulsiv. Seine Faust ist so schnell wie seine Zunge. Er ist ein leidenschaftlicher Esser und ein leidenschaftlicher Raucher. Am liebsten tut er beides gleichzeitig. Seine Fehltritte sind gut gemeint, irgendwie. Falsch sind sie trotzdem. Man könnte sagen: Er ist ein gewöhnlicher Rassist mit einem Riesenherz, jedenfalls, solange man zu seiner Sippe gehört.
Ihm gegenüber steht Dr. Don Shirley, genannt “Doc” (gespielt von Mahershala Ali). Er ist erfolgreicher Pianist und Komponist aus gutem Hause. Das Klavier spielen hat er von seiner Mutter gelernt. Er ist groß, schlank, gebildet. Gutes Benehmen und gutes Aussehen sind ihm wichtig. Er spricht mit Nachsicht. Kein Wort poltert einfach so aus seinem Mund. Flapsigkeit kann er nicht leiden. Er lebt allein, in einer riesigen Wohnung voller Kunstobjekte über der berühmten Carnegie Hall in Manhattan. Mittendrin steht ein Thron, dekoriert mit Elfenbein. Er hätte klassischer Konzertpianist werden sollen, aber soweit ist die Gesellschaft noch nicht. Seine Musik muss sich dort bewegen, wo jeder ihr folgen kann, zwischen Jazz und Klassik. Dieses Dazwischen hat ihn einsam gemacht, weil er weder da noch dorthin gehört. Er ist beides: Genie und Opfer, ausgebrochen und ausgestoßen. Gegen die Einsamkeit trinkt er Scotch, eine Flasche, jeden Abend.
Dass Vallalonga und Shirley sich kennenlernen, ist, wie so oft in solchen Filmen, reiner Zufall. Vallalonga hat wegen einer Schlägerei seinen Job im Copacabana, einem legendären New Yorker Nachtclub, verloren und braucht dringend Geld, um seine Familie zu ernähren. Auf zwielichtige Nummern mit Mafiafreunden hat er keine Lust mehr. Shirley sucht einen Fahrer, der ihn auf seiner Konzertreise durch den tiefen Süden begleitet. Acht Wochen lang. Von New York bis nach Alabama. Im Idealfall wäre dieser Mann nicht nur Chauffeur, sondern auch Bodyguard, der ihn im Notfall beschützen könnte. Die Südstaaten sind schließlich kein sicherer Ort für einen schwarzen Mann wie ihn. Vallalonga wurde ihm von Szenekennern mehrfach empfohlen und weil Vallalonga natürlich aus allen Wolken fällt, als er beim Bewerbungsgespräch sieht, welche Hautfarbe der reiche Doktor hat, kommt der Deal vor allem zu Stande, weil die Bezahlung stimmt. 120 Dollar pro Woche plus Spesen. Viel für damalige Verhältnisse und viel für einen, der normalerweise von der Hand in den Mund lebt.
Schöngeist und Haudegen steigen also in einen lindgrünen Cadillac und fahren dorthin, wo Männer aus dem Norden eigentlich nicht hinfahren sollten, weil der Ärger vorprogrammiert ist. Vorprogrammiert ist auch der Rest des Films. Nichts an Green Book ist wirklich überraschend. Alle guten Szenen und interessanten Reibungsmomente wurden bereits im Trailer verschenkt.
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