Susannah Walker hegt eine große
Leidenschaft für die Aura der Dinge. Es sei, schreibt sie im Prolog ihres
Buches Was bleibt. Über die Dinge, die wir zurücklassen, als verfüge sie über
“einen weiteren Wahrnehmungssinn, wie Synästhesie oder das absolute Gehör.
Objekte sprechen zu mir, und ich höre mir gerne an, was sie zu sagen zu haben”.
Ihrer besonderen Beziehung zu Dingen ist die Autorin als Kuratorin im Londoner
Victoria and Albert Museum nachgegangen. Sie hat zudem mehrere Bücher über
Design geschrieben und Fernsehsendungen über Kunst, Architektur und Lifestyle
produziert. Sie verfügt also auch über einen professionellen Blick auf die Welt
der Objekte, die uns alle im Alltag umgeben. Gehören sie uns, so werden
sie zu Besitztümern.
Ihre Professionalität hilft ihr
aber zunächst wenig angesichts der “Besitztümer” ihrer verstorbenen Mutter. Es
ist ein Schock, als sie deren Haus betritt: Es ist angefüllt mit Müll, Massen
alter Zeitungen überfluten die Möbel, die Räume sind unbenutzbar geworden und
kaum wiederzuerkennen. Vergammelte Essensreste, ins Haus wuchernde Pflanzen. Über
allem liegt eine klebrige Schicht aus Staub und Nikotin.
Scham, Schuld, später auch Wut
überwältigen Walker und werden zum Auslöser für eine Suche: Welches
“bodenlose Unglück” hatte ihre Mutter dazu gebracht, auf diese Weise zu leben?
“Ich wollte herausfinden, wer sie gewesen war, hinter all den Dingen, die sie
um sich herum aufgehäuft hatte.” Das Buch ist der literarische Bericht dieser
Erkundung. Zugleich ist es Zeugnis einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung,
der Versuch eines nachträglichen Verstehens und einer Aussöhnung.
Eine tiefe Kränkung
Denn Patricia Gilmour ist für
ihre Tochter immer eine distanzierte und fremde Person geblieben. Nach der
Scheidung 1975 lebten Susannah und ihr Bruder beim Vater, der das rabiat durchgesetzt
hatte. Sie war acht Jahre alt und sah die Mutter nur noch selten. Zu
liebevoller Zuwendung war diese jedoch auch zuvor nicht fähig gewesen.
Es bleibt die tiefe Kränkung, ein
von der Mutter nicht geliebtes Kind zu sein. Die erwachsene Tochter tut alles,
ihr nicht ähnlich zu werden und verdrängt die Verletzung, hält aber regelmäßigen
Kontakt durch Telefonate und Treffen. Daher weiß sie vom Alkoholproblem
Patricias, von depressiven Phasen und bekommt auch die ersten Zeichen von
Nachlässigkeit im Haus mit. Hilfsangebote empfindet die Mutter jedoch als
Einmischung und reagiert mit Rückzug – ein Dilemma für Walker. Nach der Geburt
der eigenen Tochter meidet sie Besuche vor Ort vor allem wegen der starken
Raucherei der Mutter. Daher trifft sie der Zustand des Hauses unvorbereitet.
In dem vielschichtigen Versuch zu
begreifen, was geschehen ist, was die bis zuletzt klarsichtige, immer gepflegt
auftretende Mutter zur pathologischen Horterin werden ließ – so lautet die
offizielle Diagnose, der die Autorin intensiv nachgeht, sie deutet und
hinterfragt –, verbinden sich ihre emotionale Verstrickung und ihre
Professionalität auf erhellende Weise.
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