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Bauhaus: Es begann abseits der Metropolen

Das Bauhaus ist wie
eine Sage. Dichtung und Wahrheit vermischen sich, und je weiter es
zurückliegt, desto ungenauer wird die Erinnerung an das, was
wirklich war. Vom Stahlrohrmöbel über makellos weiße, kubische
Architektur bis zur Farbfeldmalerei: Alles, was modern aussieht, gilt
heute als Bauhaus. In Wahrheit machte die Kunstschule nur einen sehr
kleinen Teil der Moderne aus. Es gab zahllose andere Bewegungen, die
sich auf die Fahnen geschrieben hatten, die Welt zu verändern. Ob Le Corbusier mit seinen aus der Skulptur entwickelten weißen Villen,
die dynamisch schwingenden Kaufhäuser Erich Mendelsohns oder die aus
dem Expressionismus hergeleiteten Siedlungen von Bruno Taut: Über
die Jahrzehnte wurde wie selbstverständlich alles dem Bauhaus
zugezählt
. Das Bauhaus war aber etwas anderes.

Walter Gropius, der
die Kunstschule 1919 in Weimar gründete, entwickelte ein visionäres
Konzept, das aus der revolutionären Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg entstand. “Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den
neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird:
Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der
Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild
eines neuen kommenden Glaubens”, so propagiert es das
Gründungsmanifest. Der Geist der mittelalterlichen Bauhütte, in der
vom Architekten bis zum Steinklopfer alle zusammen arbeiteten,
schwebte über dem Projekt, für das Gropius bedeutende Künstler
gewinnen konnte. Wassily Kandinsky, Paul Klee, Johannes Itten, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Josef Albers oder László Moholy-Nagy wurden
seine Mitstreiter.

Dieser Artikel stammt aus Weltkunst Heft Nr. 01/2019

© Weltkunst Verlag

Mit gefundenen Objekten, Collagen und Zeichnungen
sollten sich die Studenten vorarbeiten, um Lösungen für selbst
gestellte Aufgaben zu finden. Es gab weder eine Architektur- noch
eine Malerklasse, stattdessen aber eine für Wandmalerei oder für
Bühnenkunst, Werkstätten für Metall, Holz, Keramik, Glasmalerei
und Weberei. Was gerne übersehen wird: Das eigentliche Wirkungsfeld
des Bauhauses war die Provinz. Hier fand es einen weitaus passenderen
Nährboden zur Entwicklung seiner ästhetischen Vorstellungen als in
den Großstädten.

Eine Rundreise zu den Stätten und zu Spuren des
Bauhauses setzt am besten in Weimar an, wo alles begann. Die
Instituts­gebäude, von Henry van de Velde 1904–11 als
Hochschule für bildende Kunst und Kunstgewerbeschule errichtet, ließ
Gropius fast unverändert. Die Bauten atmen noch die freie
Sachlichkeit der späten Jugendstilarchitektur, die das Bauhaus nur
ergänzte: durch Joost Schmidts anthropomorphe Reliefs oder Oskar
Schlemmers Flächenwesen
. Gropius’ Direktorenzimmer, eine Sinfonie
aus Kuben und Linien, wurde 1998/99 rekonstruiert.

Im Jahr 1923
stellte sich das Bauhaus zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Es
begann spektakulär
: Eine Kunstschule baut ein Haus, um darin
Arbeiten von Lehrern und Schülern auszustellen. Unter Beteiligung
aller Werkstätten entwarf Georg Muche das “Haus am Horn”. Hoch
über dem Ilmpark und Goethes Gartenhaus liegend, sollte es der
Auftakt für eine ganze Siedlung sein, aber mangels Interesse von
Bauwilligen blieb es ein Solitär. Ein Kranz von Räumen legt sich um
ein doppelgeschossiges Atrium als einen Versammlungsort mit
Bauhaus-Wiege und Malereien der Meister. Einmalig und exzentrisch ist
das Haus am Horn in jedem Fall, aber es wurde weder Vorbild für die
Erneuerung der Wohnarchitektur noch löste es eine Bauhaus-Bauwelle
aus. Immerhin konnte Gropius im nahe gelegenen Jena zwei Bauherren
für seine Ideen begeistern. Haus Auerbach (1924) und Haus
Zuckerkandl (1927–29) sind geradezu Prototypen der kubisch-weißen,
in ihrer Reinheitsidee programmatischen Bauhaus-Architektur.

Bauhaus-Kunstschule in Weimar

© Tillmann Franzen, tillmannfranzen.com

Als die
reaktionäre Regierung Thüringens den Bauhaus-Etat drastisch kürzte,
zogen Meister und Schüler 1925 nach Dessau. Fast wäre das Bauhaus
ins Rheinland abgewandert, doch die Verhandlungen mit dem Kölner
Oberbürgermeister Konrad Adenauer kamen nicht zum Abschluss.
Stattdessen lockte der liberale Bürgermeister von Dessau, Fritz Hesse, die Schule in die aufstrebende Industriestadt. Der Umzug
brachte eine programmatische Neuausrichtung. “Kunst und Technik,
eine neue Einheit” lautete nun das Ziel. Es entstanden neue
Werkstätten für Druck und Reklame sowie für Fotografie.

Die
Dessauer Jahre zwischen 1925 und 1932 bestimmen unser Bildgedächtnis.
Hier entstanden die Alterslosigkeit versprechenden Schlüsselbauten
der Moderne, allen voran das 1926 eröffnete, von Gropius entworfene
Bauhaus-Gebäude mit seiner gläsernen Haut, dem Wohnturm und drei
wie Arme ausgreifenden Flügeln, die sich um ein imaginäres
geistiges Zentrum zu bewegen scheinen. Spiegelnde Durchsichtigkeit
konkurriert mit horizontalen Fensterbändern. Die Innenräume sind,
entgegen der heutigen Erwartung, nicht kühl. Im Gegenteil, die
glänzenden Stahlrohre der Stühle und Sessel reflektieren die
Farbigkeit der Wände, die von Rosa bis Rot, von Hellblau bis Schwarz
eine ganz eigene Buntheit entfalten. Das Gleiche gilt für die
ebenfalls 1925/26 erbauten Meisterhäuser. Gropius ließ sich ­dabei
von Ideen der holländischen De-Stijl-Meister wie Theo van Doesburg
und Piet Mondrian anregen, aber auch der Klassizismus Schinkels blieb
präsent. Drei gleichförmige Doppelhäuser ergänzen den Solitärbau,
der dem Direktor vorbehalten war. Gropius’ Haus wurde im Krieg
zerstört und vor einigen Jahren in subtiler Weise als heutige
Annäherung wieder aufgebaut.

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