Rachel ist Mutter von zwei Kindern und überfordert von der Hausarbeit. „Ich bin zu chaotisch“, seufzt sie selbstkritisch in die Kamera der Netflix-Serie Aufräumen mit Marie Kondo. In der nächsten Kameraeinstellung rechtfertigt sie sich vor ihrem Mann Kevin dafür, eine Haushaltshilfe für die Wäsche engagiert zu haben. Kevin ist der Meinung, Rachel würde das auch alleine schaffen. Warum sie das alleine schaffen soll, wird nicht thematisiert. Warum sie das überhaupt alles schaffen muss, auch nicht. Ich kenne keine Studie, aus der hervorgeht, dass aus Kindern schlechte Erwachsene werden, wenn sie nicht in einem minimalistisch aufgeräumten Elternhaus aufgewachsen sind.
Marie Kondo klingelt an der Tür von Rachel und Kevin. Akkurat gekleidet und perfekt geschminkt strahlt sie die Eltern und ihre zwei Kinder an. Sie ist gekommen, um sie zu retten. Vor allem, um Rachel zu retten. Und, um ihr zu zeigen: Du schaffst das. Während sie ihre Tricks für ein aufgeräumtes Haus verrät, performt sie ein Lächeln, das mir schon vom Zuschauen Wangenkrämpfe macht. Dass diese Frau über Legosteine stolpert, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Marie Kondo erzählt, wie sie ihre Kinder in die Aufräumarbeiten einbezieht. Alles scheint ganz leicht.
Zurück zur überforderten Rachel. Sie möchte endlich in die Schablone der perfekten Frau und Mutter passen. Haushalt und die Kinder im Griff, gut aussehend und dabei total entspannt. Klar, ihr Mann hilft nach der Arbeit auch gern mal. Aber offenbar liegt es an Rachel, ob sie dem Bild einer perfekten Familie entsprechen oder nicht. Ich schaue mir das eine Folge lang an und fühle mich zurückversetzt in die 1950er Jahre. Fehlt nur noch eine geblümte Schürze für Rachel. Am Ende lächeln alle, Marie Kondo streicht ihren ohnehin faltenlosen Rock glatt und geht. Aufgeräumte Bude gleich glückliches Familienleben, das ist die Gleichung, die Marie Kondo mit ihrem Lächeln besiegelt.
„Irgendein Ziel muss man haben und ansteuern – der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?“ fragt die Autorin Elke Heidenreich, und ich möchte ihr vom Sofa eines mittelmäßig aufgeräumten Wohnzimmer zurufen: Ja, genau! Am Ende unseres Lebens werden wir vermutlich nicht sagen: Ach, hätte ich doch mal ein bisschen mehr aufgeräumt. Ich habe auch noch nie von Kindern gehört, die am Sterbebett ihrer Eltern vorwurfsvoll seufzen: Ach Mutti, es war immer so chaotisch bei uns.
Faulsein ist wunderschön
Stattdessen habe ich heute morgen das Geschirr auf dem Frühstückstisch stehen lassen, neben den unbeantworteten Briefen der vergangenen Woche. Mein Kind und ich haben uns an die Hände genommen, sind die Treppe heruntergehüpft und haben „Faulsein ist wunderschön / denn die Arbeit hat noch Zeit / Wenn die Sonne scheint / und die Blumen blühen / ist die Welt so schön und weit“ gesungen. Ja, okay, ein paar Zeilen weiter wird das Pipi Langstrumpf-Lied dann auch problematisch. Denn natürlich backt die Mutter den Kuchen. Könnte man vielleicht noch ein bisschen anpassen, die Strophe. Aber das Lied ist ein Anfang, und ich bin froh, dass mein Kind es mit Inbrunst singt.
Statt der strahlenden, fleißigen, für Harmonie sorgenden Frau wird es Zeit für einen Gegentrend: Die faule Frau.
Von Leistungsdruck, Schönheitsidealen und Perfektionswahn sind wir überall umgeben. Marie Kondo ist die logische Schlussfolgerung für unser Zuhause: Eine Frau, die so strahlt wie ihr weißes Jäckchen. Ich habe keine Lust auf Strahlen und auch nicht auf ein weißes Jäckchen. Stattdessen möchte ich mit grauer Strickjacke und ungewaschenen Haaren auf dem Sofa abhängen, in einem Wohnzimmer, das aussieht wie ein Wohnzimmer, in dem Menschen leben. In einer Wohnung, der man ansehen darf, dass dort ein Kind zu Hause ist.
Statt der strahlenden, fleißigen, für Harmonie sorgenden Frau wird es Zeit für einen Gegentrend: Die faule Frau. Denn faule Frauen sind die Feindinnen des Patriarchats. Bereits 2015 appellierte Katrin Gottschalk, mittlerweile Chefredakteurin der taz: „Seid faul, Frauen!“ und führte als Beispiel den isländischen Frauenstreik an, bei dem am 24. Oktober 1975 die isländischen Frauen ihre Erwerbs- und Care-Arbeit niederlegten. „Das Telefonnetz des Landes brach zusammen, Schulen blieben geschlossen, Hemden ungebügelt.“
Faule Frauen sind die Feindinnen des Patriarchats.
Vier Jahre später hatte Island die erste weibliche Präsidentin. Und auch heute ist das Land Vorreiterin in Sachen Gleichberechtigung. In diesem Jahr soll auch in Deutschland gestreikt werden. Ein Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen ruft zum Streik am 8. März, dem Internationalen Frauentag, nach isländischem Beispiel auf: „Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still“, heißt es auf der Webseite. Der Streik in Island hat bewiesen, dass ein Tag etwas bewegen kann. Wichtiger finde ich allerdings, dass Faulsein Einzug in den Alltag von Frauen hält.
Weniger weiße Jäckchen, mehr Strickjacken. Das Geschirr einfach mal stehen lassen, das Kinderzimmer Chaos sein lassen. Nicht jeden Kuchen für Kita- und Geburtstagsfeste selbst backen – außer, es sparkt joy. Den Vibrator bedienen statt die Waschmaschine. Einfach mal auf dem Sofa liegen, Nichtstun. Mal zehn Minuten länger im Bett kuscheln und zu spät kommen. Gütig sein mit sich selbst. Es muss ja nicht unbedingt gleich die ganze Welt zusammenbrechen (nur das Patriarchat). Aber ein Nein darf unser eigener Perfektionismus ruhig ab und zu mal hören (natürlich nur von uns selbst).
Vielleicht verändern sich dann auch unsere Komplimente. Kein „Oh, wow, hier ist es ja aufgeräumt“ mehr, sondern „Oh, schön, hier sieht es nach Leben aus.“ Oder: „Gemütliche Strickjacke.“
Alle Texte der Kolumne Klein und groß.
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