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Kohlegegner: “Es ist Zeit, zu handeln”

Um 4.45 Uhr am Sonntagmorgen war es so weit: Nach 21 Stunden
Abschlussverhandlungen hat sich die mit Unternehmern, Gewerkschaftlern,
Wissenschaftlern und Klimaschützern besetzte Kohlekommission darauf geeinigt,
dass es spätestens 2038 keine Kohlekraftwerke mehr in Deutschland geben soll.
Greenpeace bewertet
das Ergebnis als “steilen Kohleausstieg”, der Umweltverband BUND freut sich,
dass damit der Hambacher Forst gerettet ist, für den sich so viele
Aktivisten eingesetzt haben.

Nur wenige Stunden später machten sich am Sonntagmorgen in Hamburg etwa 40
Aktivisten auf den Weg und besetzten den Hamburger Kohlehafen. Die Arbeiten am
Hansaport in Waltershof wurden darauf eingestellt. Am späten Sonntagnachmittag begann die Polizei, die besetzten Maschinen zu räumen. Wir haben vor der Räumung zwei Aktivisten gefragt, was sie antreibt. Sie nennen sich Karin Hansen und Nico Hendricks, ihre richtigen Namen möchten sie nicht nennen. 

ZEIT ONLINE: Nur
wenige Stunden nachdem Unternehmer, Gewerkschaftler, Wissenschaftler und
Klimaschützer einen mühseligen Kompromiss für den Kohleausstieg gefunden haben,
haben Sie mehrere Bagger, Verladebrücken und Förderbänder im Hamburger Kohlehafen
besetzt. Warum?

Karin Hansen: Wir
möchten zeigen, dass wir nicht nur mit den Ergebnissen der Kommission nicht
einverstanden sind, sondern auch das Verfahren ablehnen.

Nico Hendricks:
Diejenigen, die in erster Linie betroffen sind von den Auswirkungen der Kohle, saßen
gar nicht mit am Tisch bei den Verhandlungen. Keine Vertreterinnen oder Vertreter der künftig betroffenen
Generationen, keine Menschen aus dem globalen Süden, die heute schon unter dem
Klimawandel leiden, keine Menschen aus den Abbaugebieten der Steinkohle, die heute
mit den Folgen unserer Politik leben müssen. Das Ergebnis sowie den Vorgang können wir nicht
akzeptieren.

ZEIT ONLINE: Ihre
Argumente haben die Umweltverbände eingebracht. Die jetzige Einigung ist
zweifelsfrei ein Kompromiss aus Umwelt- und Wirtschaftsinteressen. Gäbe es eine Form von Kompromiss beim Kohleausstieg,
mit dem Sie leben könnten?

Hansen: Wir sind
für den sofortigen Kohleausstieg, bei Braun- und Steinkohle, nicht für einen Ausstieg 2038.

ZEIT ONLINE: Halten Sie den
sofortigen Ausstieg für umsetzbar?

Hendricks: Der
sofortige Ausstieg ist notwendig. Es wurde in den Verhandlungen viel zu sehr
darauf geachtet, dass wir in Deutschland unseren Lebensstandard mit all seinen
Verschwendungen halten können und die Energiekonzerne weiterhin ihre Profite
machen. Das kann nicht die Entscheidungsgrundlage sein. Menschen in anderen
Ländern verlieren ihre Heimat, werden krank, das passiert schon heute, das müssen
wir berücksichtigen.

Hansen: Die
Wirtschaftskonzerne sollen Milliarden Euro an Entschädigung bekommen. Diese
Milliarden sollten die Menschen im globalen Süden bekommen. Unser Eindruck ist,
dass sich die Kommission nicht wirklich mit der Option eines sofortigen
Kohleausstiegs beschäftigt hat.

ZEIT ONLINE: Energieexperten sagen:
Eine sofortige Abschaltung würde zu höheren Preisen führen, große Stromausfälle
würden wahrscheinlicher, Arbeitsplätze würden verloren gehen. Würden Sie solche
Folgen in Kauf nehmen?

Hendricks: Der Kohleausstieg ist notwendig, danach müssen wir
darüber sprechen, wie wir die Folgen mindern. Etwa die Frage, wie die
betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland neue Jobs finden.
Wir treten dafür ein, dass die Energiekonzerne vergesellschaftet und verpflichtet
werden, Umschulungen oder faire Abfindungen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen.

ZEIT ONLINE: Sie blockieren gerade den Zugang zum Kohlekraftwerk Moorburg, das ursprünglich gebaut wurde, um den Ausstieg aus der Atomkraft
möglich zu machen. Um Stromausfälle bei einem schnelleren Ausstieg zu
vermeiden, müssten möglicherweise Atomkraftwerke am Netz bleiben. Würden Sie
das in Kauf nehmen?

Hansen: Die
Anti-Atom-Bewegung war der Anfang der Energiewende, die Anti-Kohle-Bewegung ist
die Fortsetzung.

Hendricks: Wir
lassen uns da nicht gegeneinander ausspielen.

ZEIT ONLINE: Die technischen
Folgen eines sofortigen Ausstiegs sind damit aber noch nicht gelöst. Muss
unsere Gesellschaft Ihrer Meinung nach mit Stromausfällen leben?

Hendricks: Es
wird immer so getan, als würde in Krankenhäusern oder in Privatwohnungen der
Strom fehlen. Es geht aber darum, dass wir an der richtigen Stelle Strom
abschalten – beispielsweise bei Rüstungskonzernen oder in der Automobilindustrie.
Wir müssen die Wirtschaft so umgestalten, dass bei relevanten und ökologisch
korrekten Unternehmen ausreichend Strom zur Verfügung steht, nicht etwa bei der
Stahlproduktion, die unendlich viel Energie braucht.

Hansen: Wirtschaftsunternehmen
müssen sich stärker mit Fragen des Klimawandels auseinandersetzen. Natürlich
ist das nicht leicht, aber wir müssen uns eben jetzt aktiv damit
auseinandersetzen. Wir wollen mit unserer Protestaktion zum Nachdenken anregen.
Der jetzt eingeschlagene Weg ist nicht direkt und schnell genug.

ZEIT ONLINE: Ein
Argument für eine Übergangszeit ist, dass die Wirtschaft eben Zeit braucht, sich
anzupassen.

Hansen: Klimawandel ist nun wirklich
kein neues Thema. Das Thema wurde schon viel zu lange bewusst ignoriert. Der
Klimawandel ist weit fortgeschritten. Es ist genug Zeit verstrichen, es ist
Zeit, zu handeln.

Hendricks: Das
Thema Braunkohle bewegt viele Menschen, das haben wir schon im Herbst im Hambacher Forst erlebt. Wir wollen zeigen, dass auch Steinkohle ein Problem ist, wie sie
hier in Hamburg importiert wird. In den Abbauregionen gibt es massive
Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen.

ZEIT ONLINE: Wie
geht es nun weiter für Sie?

Hansen: Das
verraten wir noch nicht. Aber es wird noch weitere Aktionen geben, das ist erst
der Auftakt zu einer Aktionswoche der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Dies ist ein Artikel aus dem Ressort ZEIT:Hamburg. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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