Beatrice Weder di Mauro ist eine
schweizerisch-italienische Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie war acht Jahre
Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung in Deutschland. Seit Mitte 2018 ist sie Präsidentin des Centre for
Economic Policy Research (CEPR) in London. Wir treffen sie auf dem Weltwirtschaftsforum
in Davos.
ZEIT ONLINE: Frau
Beatrice Weder di Mauro, das Wachstum in Deutschland lässt nach, auch Italien
schwächelt. Der britische Economist warnt schon vor einer neuen Rezession in
der Eurozone. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Beatrice Weder di
Mauro: In einigen Ländern erleben wir gerade in der Tat einen Abschwung.
Aber in Deutschland hatten wir einen langen, fast schon historischen Boom, der
musste irgendwann enden. Ob die aktuelle Entwicklung in einer Rezession, also
in negativem Wachstum, für die gesamte Eurozone mündet, ist eine ganz andere
Frage. So weit würde ich derzeit nicht gehen.
ZEIT ONLINE: Ist
Europa überhaupt auf schlechte Zeiten vorbereitet?
Weder di Mauro: Der
Spielraum der Europäischen Zentralbank ist gering, denn eine neuerliche Ausweitung der Geldpolitik würde sicherlich
sehr kritisch gesehen. Aber was wichtiger ist: In Europa wurden die guten Zeiten
nicht ausreichend genutzt, um sich auf schlechte Zeiten vorzubereiten. Um ein
Bild zu verwenden: Wir hätten das Dach reparieren sollen, als noch die Sonne
schien. Jetzt fängt es schon wieder leicht an, zu regnen.
ZEIT ONLINE: Was
wurde am Dach nicht repariert?
Weder di Mauro: In
vielen Dingen sind wir dem Glauben erlegen: Das hält schon noch. Die
Währungsunion hätte mehr Elemente der Marktdisziplin
und stabilisierende Elemente einführen müssen, die die Last von der EZB nehmen,
immer die Feuerwehr spielen zu müssen.
ZEIT ONLINE: Sie
meinen einen Eurozonenhaushalt wie in Emmanuel Macron will?
Weder di Mauro: Das
ist ein mögliches Element. Aber es gibt schlauere Instrumente, die auch direkt
den betroffenen Menschen helfen würden. Ich denke da beispielsweise an eine
europäische Arbeitslosenrückversicherung.
ZEIT ONLINE: Wenn
das Wort fällt, wird in Deutschland sofort Transferunion geschrien.
Weder di Mauro:
Ja, mit diesem Wort wurde die Diskussion in Deutschland sofort erstickt. Dabei haben sich
die meisten nicht ernsthaft mit dieser Möglichkeit auseinandergesetzt. Eine
Versicherung ergibt in gewissen Fällen einfach Sinn. Wir haben in Deutschland
eine Pflicht zur Autoversicherung. Da behauptet doch niemand, das wäre eine
Transferunion.
ZEIT ONLINE: Wie
könnte eine solche Rückversicherung funktionieren?
Weder di Mauro:
Es wäre eine Versicherung mit einem hohen Selbstbehalt. Heißt: Zuerst greift
das nationale Sicherungssystem, erst ab einer gewissen Schwelle, bei einem
besonders großen Anstieg der Arbeitslosigkeit, springt ein Versicherungsfonds
ein, in den die Länder vorher eingezahlt haben. Das kann dazu beitragen, die
Wirtschaft im jeweiligen Land zu stabilisieren. Gleichzeitig müsste man dafür
sorgen, dass das Instrument nicht ausgenutzt wird. Um beim Bild der
Autoversicherung zu bleiben: Wer viele Unfälle baut, für den steigen halt die
Prämien.
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