Es sieht ein bisschen aus wie explodierte Hirsekolben, auf die der Wellensittich nun eben verzichten muss. Fasst man es an, ist es irritierend weich und spröde zugleich, ein bisschen wie Baumwollwatte mit Dinkelspelzen drin. Falls man Haferflockenbeige nicht für verwegen hält, ist es auch von äußerst fader Farbe. Klingt insgesamt nicht so, als ob man hier die Dekoration du jour vor sich hätte, aber das Gegenteil ist der Fall: Kaum eine Vase auf Instagram scheint noch ohne Pampasgras zu sein. Seine beim geringsten Luftzug ins Wabern geratenden Wedel gibt es neben Cerealienbeige übrigens auch in hellem Silbergrau und sehr pastelligem Rosé.
Als Hochzeitsdeko liegt es sogar ganz besonders im Trend: Es finden sich auf Instagram und Pinterest jede Menge Pampasgrasbögen zum Durchschreiten, die in diesem Arrangement ein bisschen wie die Reste vom Dreschen aussehen. Vielleicht wird 2019 ja tatsächlich mit sehr viel weniger Rosen geheiratet und stattdessen mit dicken Büscheln dieser anspruchslos vor sich hin trocknenden Pflanze. Wie nachhaltig wäre das denn, wenn die Dekoration der Feier danach auf Jahre daheim die Bodenvasen füllen würde? Was das an Blumenlieferungsabonnements sparen hilft, und: zero maintenance!
Außerdem entspricht dieses roh Naturbelassene, dieses wie beim Spaziergang am Wegesrande ausgerupfte Pflanzenwesen exakt den Landlebensvisionen von Großstädtern. Seine
ungezähmte Natur entfaltet sich am besten im Kontrast zum schlichten
skandinavischen Wohnstil, wie es ihn so nur in den Metropolen gibt, mit
seinen hellen Hölzern, schartigen Schalen und knittrigen Leinenkissen.
Nur in diesem Zusammenspiel sieht man dann auch, dass sein schwereloses Wedeln an
die Straußenfederfächer in den Revuen und Boudoirs der Goldenen
Zwanziger erinnert. Eigentlich ist Pampasgras das Babylon Berlin unter den Pflanzen!
“Pampasgras ist das neue Monsterablatt”, war jüngst auf The Strategist zu lesen, einem verbraucherorientierten Ableger des New York Magazine. Das ist schon ein großes Wort, denn die Monstera ist ja sozusagen die Chloe-Tasche oder die Acne-Jeans der Fensterbank: ein Dauerbrenner, der Saison für Saison wiederkehrt, ein Klassiker, der sich den schnell wechselnden Moden längst schon enthoben hat.
Das Pampasgras leiste für die Wohnung, so The Strategist weiter, was weiße Cowboyboots derzeit für den Kleiderschrank hinbekämen: allem Vorhandenen ein sofortiges Fashion-Update zu verschaffen. Mögen auch sämtliche Interior-Bloggerinnen und -Blogger dieselben eckigen Tabletttischchen vor dem grauen Ecksofa stehen haben – mit dem Pampasgras wird es dann ganz individuell. Da das sehr viele gerade entdeckt haben, funktioniert das mit dem unverwechselbaren Look zwar leider wieder nur bedingt, aber macht nichts. Auch die Monstera war ja nicht hässlicher anzusehen, als sie plötzlich millionenfach im Hintergrund lauerte und es mit ihren tief geschlitzten Blättern zum idealen, grafisch klaren Druckmotiv für Servietten, Tassen und Vorhänge gebracht hatte. Aber das Puschelding kann mehr!
Das Pampasgras, das zwischen einem halben und drei Meter misst, hat seinen Namen von der südamerikanischen Grassteppe, wo es ursprünglich herkommt und dort auf Sand- und Schwemmböden wächst. Auf dem Balkon in der Großstadt gedeiht es aber genauso gut, denn Pampasgras ist nicht wählerisch, wenn es um seine Unterbringung geht. “Außerhalb des ursprünglichen Verbreitungsgebiets gilt es als opportunistisch”, heißt es auf Wikipedia, was etwas hämisch klingt. Diese Anpassungsfähigkeit geht allerdings so weit, dass Cortaderia selloana aus der Familie der Süßgräser mittlerweile in viele Ländern als invasive Pflanze bekämpft wird und, wie in Frankreich, verboten werden soll.
Solche Schwierigkeiten treten auf dem Balkon natürlich nicht auf. Die Bekämpfung kann schlicht im Nichtgießen bestehen, dann regelt sich das in dürren Sommern mit der Pampasgraspopulation wie von selbst, und ein schöner Strauß kommt auch noch dabei raus. Im Übrigen sieht es schon als lebende Pflanze aus wie vertrocknet, nur die Blätter sind dann eben noch von zartem Grün. Vom Pampasgras kann der von seinen Pflichten gebeutelte Großstädter tief meditative Erkenntnisse gewinnen: dass man etwas komplett vernachlässigen kann, um das ideale Ergebnis zu erzielen. Einfach mal nichts tun. Gar nichts. Herrlich.
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