Bei der letzten Untersuchung hatte sie den Herzschlag des Babys noch gehört. Stark und regelmäßig war er, und die Ärztin hatte ihr versichert, dass Sport dem Kind nicht schaden würde. Also war Katharina, wie so oft, die große Runde durch den Park in der Nähe ihrer Berliner Wohnung gelaufen. Aber zurück zu Hause, auf dem Rand ihrer Badewanne sitzend und nach Luft ringend, hatte sie sofort gespürt, dass etwas nicht stimmte. Die Krämpfe waren zu stark, das Blut zu viel für eine Zwischenblutung,
und ihr Unterleib fühlte sich plötzlich merkwürdig still an.
Katharina spricht langsam, als sie versucht, sich an den Moment vor zwei Jahren zu erinnern. Immer wieder senkt sie den Kopf. Dann fallen ihr die langen Haare ins Gesicht. Katharina ist Anfang dreißig und arbeitet in einer Agentur. Ihren richtigen Namen will sie, wie einige andere Frauen in diesem Text, nicht veröffentlichen. Nur die Geschichte, das Ende dieser ersten, sehr glücklichen zehn Wochen, soll zählen. Wenigstens die Geschichte soll nicht einfach so verschwinden.
In der Notaufnahme, sagt Katharina, hatte sie wortlos den Zettel mit dem Termin für die Ausschabung entgegengenommen. Zwei Tage später lag sie in einem Krankenbett, müde und erschöpft von dem Eingriff. Neben ihr eine junge Frau, die abgetrieben hatte und nicht aufhören wollte, zu weinen. Katharina konnte nicht weinen. Sie fühlte sich beraubt und gleichzeitig fremd, als sei dieser Schicksalsschlag nicht ihr, sondern allein ihrem Körper widerfahren, viel zu schnell, als dass der Kopf Zeit gehabt hätte, sich einzuschalten. Wie soll das auch gehen: Sich auf eine Fehlgeburt gedanklich vorbereiten?
Eine Statistik besagt, dass 10 bis 20 Prozent aller Schwangerschaften in den ersten drei Monaten mit einer frühen Fehlgeburt enden. Diese Zahlen lassen sich greifen, mit ihnen lässt sich leben, denn es bleibt genügend Raum für das tatsächliche Gelingen einer Schwangerschaft. Die andere Statistik, auf die vor allem Frauenärzte häufig verweisen und deren Schwere erdrückend ist, besagt, dass jede Frau in ihrem Leben mindestens eine Fehlgeburt erleidet.
Es ist ja nur abgestoßenes Zellgewebe
Doch obwohl so viele Frauen betroffen sind, gehören Fehlgeburten zu den Themen, die weder im privaten noch im öffentlichen Raum gern besprochen werden. Die Scham, dass der eigene Körper versagt hat, ist zu groß. Die Trauer sitzt zu tief und sie lässt sich schwer teilen: Wer nicht betroffen ist, kann diesen Schmerz und die Wut oft kaum nachvollziehen. Denn aus medizinischer Sicht sind frühe Fehlgeburten ja nicht viel mehr als die Abstoßung von Zellgewebe.
Der Wunsch, offen reden und trauern zu dürfen, beschäftigt Frauen in ganz Deutschland. Sie sehnen sich nach mehr Verständnis. Es sind Frauen wie Katharina aus Berlin, Lena, Sylvia und Heike aus Hessen und Simone aus Nordrhein-Westfalen. Lena, Sylvia und Heike haben sich an einem kalten Frühlingstag in einer idyllischen Kleinstadt aus Fachwerkhäusern zwischen Kassel und Frankfurt zusammengefunden, um ihre Erfahrungen zu teilen. Sie sitzen auf zwei dunklen Ledersofas, in einem kleinen Raum im Untergeschoss des Gemeindehauses. Auf dem Beistelltisch aus Glas liegt eine Schachtel mit Papiertaschentüchern, daneben stehen ein paar Kaffeebecher und Wasserflaschen.
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