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EU-Austritt: “Brexit ist ein schmutziges Wort”

Der Brite Peter Wilding gilt als Erfinder des Wortes Brexit. Er ist Anwalt und Gründer der Denkfabrik Influence Group in London. Er war Medienberater des britischen Premierministers David Cameron und Mediendirektor der Konservativen Partei im Europaparlament. 

ZEIT ONLINE: Herr Wilding, wie können Sie so sicher sein, dass Sie der Erfinder des Wortes Brexit sind?

Peter Wilding: Darüber besteht kein Zweifel, leider, muss man sagen. Ich habe das Wort Brexit als Erster in einem Artikel geprägt, den ich am 12. Mai 2012 schrieb. Danach hatte ich das wieder vergessen, bis das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU stattfand. Plötzlich rief das Team vom Oxford English Dictionary bei mir an, und sie sagten, dass sie Brexit in ihr Wörterbuch aufnehmen wollten. Es werde das Wort des Jahres 2016 und ich sei der Erste, der es verwendet habe. So kam es schwarz auf weiß in das Wörterbuch.

ZEIT ONLINE: Im Jahr 2012 ging es noch um den drohenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Haben Sie sich vom vermeintlichen Grexit inspirieren lassen?

Wilding: Klar, schon 2011 war die Krise in Griechenland das bestimmende europäische Thema. Und zur dieser Zeit prägte ein Bankenökonom das Wort Grexit, das schnell populär wurde. Der nächste Dominostein in der Europäischen Union aber drohte schon kurze Zeit danach zu wackeln, und das war Großbritannien. Damals arbeitete ich für den früheren Premierminister David Cameron und für die Konservative Partei als Mediendirektor. Cameron hatte bereits für sich entschieden, ein Referendum abzuhalten. Ich sagte zu ihm, du solltest dir darüber im Klaren sein, dass du in einem britischen Grexit enden könntest, also in einem Brexit.

ZEIT ONLINE: Wie hat er reagiert?

Wilding: Er hat gelacht. Aber das war ungefähr ein Jahr, bevor Cameron das Referendum im Januar 2013 verkündete. Ich wollte ihn davon überzeugen, dass die Kampagne für den Verbleib in der EU nicht darüber gehen sollte, was man durch den Brexit verliert, sondern darüber, was man durch den Verbleib in der EU gewinnt. Es sollte sich nicht so sehr um Fakten und Wirtschaft drehen, sondern um Herz und Seele. Und ich sagte zu Cameron: Du könntest der Anführer dieser Bewegung sein. Auch die Meinungsumfragen damals zeigten noch, dass zwei Drittel der Briten in der EU bleiben wollten. Die Menschen wollten, dass die Regierung attraktiven, kontinentalen Fußball spielt und nicht im Strafraum festhängt und verteidigt.

ZEIT ONLINE: Ihre Meinung zum Referendum war also schon zu dieser Zeit klar?

Wilding: Absolut, ich war und bin ein remainer, also für den Verbleib in der EU.

ZEIT ONLINE: War es für Sie dann nicht furchtbar, dass die Brexit-Kampagne mit Ihrem Wort so erfolgreich wurde?

Peter Wilding (links)
© Daniel Leal-Olivas/Getty Images

Wilding: Natürlich ist das insgesamt eine Tragödie. Ich hatte mir schon gedacht, dass die Kampagne der Befürworter des Austritts sehr stark auf Emotionen basieren würde. Brexit ist ein gefühlsbeladenes Wort und ich wollte ja schließlich auch, dass es dies ist. Wir mussten diesem Wort etwas entgegensetzen mit unserem Slogan, der lautete leading not leaving, also führen und nicht austreten. Es sollte ein Kampf darüber werden, wer patriotischer ist in diesem Land. Aber die Wahrheit lautet, dass David Cameron und andere in der Kampagne glaubten, man müsse das Portemonnaie der Menschen ansprechen und nicht ihr Herz. Das war ein Fehler. 

ZEIT ONLINE: Menschen brauchen anscheinend solche kurzen Wörter, um komplizierte Dinge prägnant auszudrücken. Warum war Brexit so erfolgreich?

Wilding: In der Geschichte kann manchmal ein einziges Wort den gesamten Zeitgeist zusammenfassen. Hinter dem Wort Brexit folgte in der Kampagne der EU-Gegner gleich der Slogan: Take back control,
also Kontrolle zurückerlangen. Und Brexit wurde zu einer Art
Hilfeschrei der Menschen, der das Verlangen nach mehr Kontrolle über ihr
Leben in der Ära der Globalisierung ausdrückte. Dieses Wort wird für
Großbritannien eine Bedeutung haben wie Versailles für Deutschland oder
Vichy für Frankreich.

ZEIT ONLINE: Ist Brexit trotzdem für Sie auch ein schönes Wort?

Wilding: (Lacht) Ich werde oft gefragt, wie ich zu diesem verdammten Wort stehe, auch weil es einzigartig ist. Brexit ist eine Emotion, aber heute ist es auch ein Schimpfwort. Schade ist allerdings, dass man keine Ansprüche auf das Urheberrecht eines Wortes erheben kann. Falls jemand von Ihren Lesern oder Leserinnen eine Idee hat, wie man daraus ein Verfahren machen könnte, nur zu. Wir teilen dann den Gewinn.

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