Isländische Handballer sind, rein äußerlich, auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Es gab Zeiten, da hätte man die Nationalmannschaft für ein paar Folgen der HBO-Serie “Vikings” buchen können. Ohne sie zu schminken. Tattoos am ganzen Körper, gewaltige Stiernacken und mächtige Bärte: So erkannte man einen isländischen Handballer. Von ihren wunderbaren Namen ganz zu schweigen. Sigfus Sigurdsson. Olafur Stefansson. Björgvin Gustavsson. Im Vergleich dazu sahen manche aus der Mannschaft, die das sportverrückte Land aus dem Norden zu dieser WM geschickt hat, wie Schuljungen aus. Gisli Porgeir Kristjansson, der jüngste im Team, ist im Juli 1999 geboren.
Doch genau davor hatte der Bundestrainer gewarnt, vor einer schnellen, jungen Mannschaft, die unangenehm und widerspenstig sein wird. Man muss sich das isländische Sportwunder immer wieder in Erinnerung rufen: Im Durchschnitt leben nur 3,4 Menschen auf einem Quadratkilometer. In Brandenburg, auch kein Vielvölkerstaat, sind es 84. Doch ob im Fußball oder im Handball: Islands produziert sportliches Talent wie fast kein zweites Land in Europa.
24:19-Auftaktsieg
Das stellten die Isländer auch gegen Deutschland wieder unter Beweis: In der ausverkauften Köln-Arena brauchte es eine seriöse, leidenschaftliche Leistung der deutschen Nationalmannschaft, bis der erste Sieg bei der WM-Hauptrunde perfekt war. “Wenn wir mit der Einstellung herangegangen wären: Ach, dieses kleine Land schlagen wir schon irgendwie, wäre es garantiert nach hinten losgegangen”, sagte Bundestrainer Christian Prokop nach dem 24:19 (14:10)-Erfolg, der seinem Team die Tabellenführung der ersten Hauptrundengruppe vor Frankreich bescherte. Zwar kann Kroatien am Sonntag vorbeiziehen. Doch den Auftakt nach dem Umzug nach Köln zu gewinnen, das war schon ein wichtiges Ziel.
Lange vor dem Anpfiff wurde der Köln-Mythos wieder aufgelegt: “Wenn Wimbledon Boris Beckers Wohnzimmer ist, ist Köln das der Handball-Nationalmannschaft”, sagte Ex-Nationalspieler Christian Schwarzer, der 2007 zum Weltmeisterteam gehörte, das in Köln den Titel gewann. 19.250 Besucher johlten zu diesem Satz und gaben eine erste echte Hörprobe ab. Auch die Weltmeister von 1978 waren kurz auf dem Parkett. Sie kamen für Joachim Deckarm, der seinen 65. Geburtstag feierte. Der einstigen Weltklasse-Spieler, der sich kurz nach dem WM-Sieg in einem Europapokalspiel schwer am Kopf verletzte, wird seit 40 Jahren von seinen alten Teamkollegen besucht und betreut. In der Halbzeitpause sang ihm Köln ein Ständchen.
Überhaupt die Atmosphäre: Die 13.500 Berliner, die pro Spiel in der Vorrunde kamen, waren schon laut, Köln machte aber definitiv nochmal mehr Lärm. Abwehrspezialist Finn Lemke antwortete auf die Frage, ob er gerade die beste Kulisse seiner Karriere erlebt hatte, nur mit einem Kopfnicken. “Davon werde ich noch meinen Kindern erzählen”, sagte Paul Drux. Und Trainer Prokop, der aus dem Grinsen gar nicht mehr herauskam nach dem Sieg, sprach gar von der “sportlich besten Zeit meines Lebens”.
Steffen Fäth begann stark
Ein guter Start machte es den Deutschen leicht, die Menge mitzunehmen. In der Vorrunde hatte die Abwehr gestanden, im Angriff ließen die Deutschen aber bislang in jedem Spiel einfache Tore aus. Gegen Island waren fünf der ersten sechs Angriffe im Tor, Steffen Fäth erzielte schon nach sieben Minuten das 5:2, ein 105-Stundenkilometer-Hammer in den rechten Winkel. Auf solche Fäth-Momente sind die Deutschen, jetzt wo es wirklich zählt, angewiesen.
In doppelter deutscher Unterzahl kamen die Isländer aber schnell zurück: Amor Thor Gunnarson, Aron Palmarsson, wieder Gunnarson, wieder Palmarsson, ein ehemaliger Kieler: Jetzt führten die Isländer 6:5 und sorgten für einen ganz seltenen Moment der Stille. “Wir haben uns zu sehr hinten reindrängen lassen”, sagte der Bundestrainer später. Er nahm seine erste Auszeit, stellte seine Abwehr um und wechselte aus einer 6-0-Variante in eine 5-1-Formation, und lag damit richtig.
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