Natürlich werden sie ihn an diesem Samstag noch einmal alle umarmen. Große Reden werden auf Horst Seehofer gehalten werden, man wird seine Verdienste loben. Und selbst die, die in den vergangenen Jahren an seinem Rückzug gearbeitet haben, werden sich vor ihm verneigen. Und dann, wenn am Nachmittag der Parteitag der CSU mit dem Lied der Bayern endet, biegt seine Karriere endgültig auf die Zielgerade ein. Bundesinnenminister will er zwar bleiben, doch in der CSU ist die Ära Seehofer vorbei. Die Geschicke der Partei lenken nun andere.
Mit Seehofer, so viel zumindest scheint klar, geht ein Mann von gestern. Und in der öffentlichen Wahrnehmung hat man sich bereits darauf geeinigt, wie diese Gestrigkeit beschaffen ist: testosterongeladen, winkelzüglerisch, selbstverliebt und gewiss auch reaktionär. Kurzum: keiner, dem man irgendwie nachtrauern müsste. Genüsslich wurden die Fehler des Horst Seehofers in den vergangenen Monaten ausgeweidet.
Er selbst hat dafür viele Vorlagen geliefert. Die Art etwa, wie er die Dinge in der sogenannten Causa Maaßen zu regeln versuchte, schien wie ein Beleg dafür, dass seine Art, Politik zu betreiben, aus der Zeit gefallen war. Einen Beamten zum Dank für sein Fehlverhalten zu befördern und dies allen Gerechtigkeitsempfindungen zum Trotz gegen den Koalitionspartner durchzukämpfen, eine solche Praxis hätte wohl vor noch nicht allzu langer Zeit als politisches Kunststück gegolten. Schon Adenauer war dafür bekannt gewesen, verfemte Gefolgsleute mit luxuriösen Posten zu versorgen, auch Kohl und selbst noch Schröder waren nach diesem Muster verfahren.
Die Regeln der Hinterzimmerpolitik
Doch die Öffentlichkeit heute ist eine andere als in Seehofers Sozialisierungsjahren. Sie ist demokratischer, empörungsbereiter, auch sensibler für moralisches Fehlverhalten. Ein fauler Kompromiss wird rascher als solcher erkannt und der Legitimationsdruck auf die Politik wächst. All das hatte der kungelrundenerprobte Seehofer offenbar nicht bedacht, und so traf die Entrüstung danach auf einen halbwegs vedatterten Innenminister.
Seehofer wuchs politisch im Halbschatten der
Bonner Hinterzimmer auf, die ihren eigenen Rationalitäten folgten und wo man
zunächst im kleinen Kreis regelte, was später große Politik wurde. Er schätzte
die gelungene Intrige und das gut inszenierte Ränkespiel. Obsessiv befasste er
sich in den vergangenen Jahren damit, seine Nachfolge “zu regeln”, wobei
“regeln” vor allem bedeutete, Markus Söder zu verhindern. Seinen eigenen
Rücktritt kündigte er mehrmals an, nur um ihn danach doch wieder zurückzunehmen
und einen Gegenkandidaten aus dem Hut zu zaubern, der dem ewigen Rivalen das
Amt doch noch streitig machen sollte.
Zuletzt
allerdings konnte man dabei zusehen, wie dieser Politikstil einen toten Punkt
erreichte. Für den Rücktritt vom Rücktritt brauchte er zuletzt nur noch eine
Nacht. Machtpolitik betrieb er nicht mehr spielerisch, sondern verbissen. Und von der feinen Ironie, die Seehofer einmal auszeichnete, war nur noch ein kehliges Lachen übrig geblieben, das man immer dann hörte, wenn sich Seehofer bei öffentlichen Auftritten über seine eigenen Witze amüsierte.
Ein sensibler Konservativer
Wer Seehofer im Herbst im bayerischen Landtagswahlkampf beobachtete, der erlebte einen gekränkten Mann. Die Wahlkampfreden wurden zu Rechtfertigungsmonologen, deren wesentlicher Inhalt darin bestand, den Zuhörern zu erklären, dass er, Horst Seehofer, es schon immer gewusst hatte. Die Flüchtlinge, die Merkel – das habe ja alles nicht gut gehen können. Gerecht war Seehofer vor allem zu sich selbst.
Doch wer in Seehofer allein den Vertreter einer
überheblichen und überkommenen Männerwelt sieht, der erkennt höchstens die
Hälfte, die allerdings zuletzt so groß schien, dass sie die andere Hälfte
verdeckte: Den sensiblen Konservativen mit sozialkatholischer Anthropologie,
den Ungerechtigkeiten wütend machten und der stets misstrauisch wurde, wenn ihm
Parteifreunde erzählten, dass man kollektive Sicherheiten dem Markt und die
Menschen am besten sich selbst überlässt.
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